WoW 02 - Der letzte Wächter
Er hatte eine Vision gerufen, wenn auch nicht die gewünschte. Die Frage war, was schiefgelaufen war, und wie man das Problem am Besten löste.
Der junge Magier griff nach seinem Schreiber-Beutel und zog einen leeren Streifen Pergament und Werkzeuge heraus. Er steckte eine Metallfeder auf das Ende des Griffels, schmolz etwas von der Octopus-Tinte in einer Schale und begann schnell alles aufzuschreiben, was geschehen war, vom Beginn des Zaubers bis zu Aegwynns tiefem Einsinken in den Schnee, als sie davonging.
Stunden später schrieb er immer noch, als ein kränkliches Husten in der Tür zu hören war. Khadgar war so in seinen Gedanken versunken, dass er den greisen Diener nicht bemerkte, bis Moroes ein zweites Mal hustete.
Khadgar blickte leicht irritiert auf. Da war etwas Wichtiges, das er niederschreiben wollte, aber es fiel ihm nicht mehr ein. Eine Bewegung im Augenwinkel seines Geistes.
»Der Magus ist zurück«, verkündete Moroes. »Will dich im Observatorium sehen.«
Khadgar blickte Moroes ein paar Sekunden lang mit leeren Augen an, bevor die Worte in seinen Geist sickerten. »Medivh ist zurück?«, gelang es ihm schließlich hervorzubringen.
»Das habe ich gesagt«, ächzte Moroes. Er schien jedes Wort nur widerwillig auszusprechen. »Du wirst mit ihm nach Stormwind fliegen.«
»Stormwind? Ich? Warum?« fragte der junge Magier.
»Weil du sein Schüler bist, darum«, versetzte Moroes mürrisch. »Observatorium. Ich habe schon die Greife gerufen.«
Khadgar blickte auf seine Arbeit, Zeile um Zeile in ordentlicher Handschrift, die jedes Detail genau beschrieb. Aber da war noch etwas, das er vergessen hatte. Stattdessen sagte er: »Ja. Ja. Ich werde meine Sachen zusammensuchen. Das hier zu Ende schreiben.«
»Lass dir Zeit«, sagte der Kastellan. »Es ist nur der Magus, der mit dir nach Stormwind fliegen will. Nichts Wichtiges.« Und Moroes verschwand wieder im Gang. »Observatorium«, ließ er noch einmal seine Stimme hören, fast wie einen nachträglichen Einfall.
Stormwind!
, dachte Khadgar.
König Lianes Burg!
Was konnte so wichtig sein, dass er dorthin gehen musste? Vielleicht ein Bericht über die Orcs?
Khadgar blickte von seinem Pergament auf. Die Nachricht von Medivhs Rückkehr und ihrem baldigen Aufbruch hatte seine Gedanken unterbrochen, und jetzt war sein Geist bei der neuen Mission. Er blickte auf die letzten Worte, die er geschrieben hatte.
Aegwynn hat zwei Schatten
, stand dort.
Khadgar schüttelte den Kopf. Welchen Weg sein Geist auch immer gerade genommen hatte, er hatte ihn verloren. Er löschte sorgfältig die überschüssige Tinte ab, damit sie nicht schmierte, und legte das Pergament zur Seite. Dann sammelte er sein Werkzeug zusammen und eilte in sein Quartier. Er würde sich umziehen müssen. Für den Ritt auf einem Greifen benötigte er Reisekleidung. Und es war wohl besser, seinen guten Zaubermantel einzupacken, falls er dem König begegnen sollte.
SIEBEN
STORMWIND
Bis zu diesem Zeitpunkt war das größte Gebäude, das Khadgar jemals gesehen hatte, die Violette Zitadelle auf der Kreuzinsel vor den Toren der Stadt Dalaran gewesen. Die majestätischen Türme und großen Hallen der Kirin Tor, mit ihren Dächern aus dickem Schiefer in der Farbe von Lapislazuli, die der Zitadelle ihren Namen gaben, hatten Khadgar stets mit besonderem Stolz erfüllt, da auch er dort zuhause war. Nichts, nicht einmal Medivhs Turm, war bei all seinen Reisen durch Lordaeron und nach Azeroth auch nur annähernd dem ehrwürdigen Glanz der Zitadelle der Kirin Tor nahe gekommen.
Bis er nach Stormwind kam.
Wie zuvor waren sie die ganze Nacht hindurch geflogen, und dieses Mal war der junge Magier überzeugt, zwischenzeitlich geschlafen zu haben, während er auf seinem Greifen durch die frostige Nachtluft ritt. Welches Wissen Medivh auch immer in seinen Geist gepflanzt hatte, es funktionierte weiterhin, denn Khadgar war sich sicher in seiner Fähigkeit, das geflügelte Raubtier mit den Knien zu lenken, und fühlte sich auf dessen Rücken wie zuhause. Der Teil seines Gehirns, in dem das Wissen ruhte, fühlte dieses Mal keinen Schmerz, sondern nur ein leichtes Pochen, als sei das geistige Gewebe verheilt und habe eine kleine Narbe hinterlassen. Sein Verstand nahm das Wissen in seinem Innern auf, doch er empfand es noch immer als etwas Fremdes.
Er erwachte, als die Sonne am Horizont hinter ihm aufging, und geriet für einen Moment in Panik, was das große Flugtier dazu brachte, eine
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