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Wozu wollen Sie das wissen?

Wozu wollen Sie das wissen?

Titel: Wozu wollen Sie das wissen? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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ich versichere Euch und beschwöre es bei meinem Leben, dass Will nie gelogen hat, er, der in seiner Jugend zu Pfarrer Thomas Boston in die Kirche ging, jenem Thomas Boston, der die Furcht des Herrn wie ein Messer in jeden Mann und jede Frau gesenkt hat bis an ihr Lebensende. Nein, niemals. Ihm ist nie eine Lüge über die Lippen gekommen.«
     
    »Das war also alles Unsinn«, sagt der große Mann leise, als er sicher ist, dass der Erzähler geendet hat. »Ich bin geneigt, dem zuzustimmen. Sie sind von moderner Denkungsart?«
    Walter bejaht das und spricht jetzt mannhafter als zuvor. Er hat diese Geschichten, die sein Vater zum Besten gibt, und andere ähnliche sein ganzes Leben lang gehört, nur das Seltsame ist, bis sie an Bord gekommen sind, hat er sie nie von seinem Vater gehört. Der Vater, so wie er ihn noch bis vor kurzem gekannt hat, hätte nichts dafür übrig gehabt.
    »Das ist ein schrecklicher Ort, an dem wir leben«, sagte sein Vater immer. »Die Menschen haben nur Unsinn im Kopf und schlechte Gewohnheiten, und sogar die Wolle unserer Schafe ist so grob, dass wir sie nicht verkaufen können. Die Straßen sind so schlecht, dass ein Pferd in einer Stunde nur vier Meilen vorankommt. Und zum Pflügen nehmen sie hier einen Spaten oder den alten schottischen Pflug, obwohl es in anderen Gegenden seit fünfzig Jahren einen besseren Pflug gibt. Ach, ja, sagen sie, wenn du sie fragst, ach, ja, aber es ist hier herum viel zu steil und der Boden ist zu schwer.«
    »In Ettrick geboren sein heißt, in einem zurückgebliebenen Landstrich geboren sein«, sagte er oft. »Wo alle an alte Geschichten glauben und Gespenster sehen. In Ettrick geboren sein, das ist ein Fluch.«
    Und sehr wahrscheinlich kam er danach auf Amerika zu sprechen, wo alle Segnungen moderner Erfindungen alsbald in Gebrauch kommen und die Menschen nie aufhören, die Welt um sich herum zu verbessern.
    Doch man höre ihn sich jetzt an!
    »Ich glaube nicht, dass es Elfen waren«, sagt Nettie.
    »Du meinst also, es waren immer seine Nachbarn?«, fragt ihr Vater. »Du meinst, sie haben ihm einen Streich gespielt?«
    Noch nie hat Walter einen Vater so nachsichtig mit seinem Kind reden hören. Und da er Nettie ins Herz geschlossen hat, kann er das nicht gutheißen. Denn das kann sie nur glauben machen, es gäbe auf dem weiten Erdenrund keine hörenswertere Meinung als die ihre.
    »Nein, das nicht«, sagt sie.
    »Was dann?«, fragt ihr Vater.
    »Ich glaube, es waren Tote.«
    »Was weißt du über die Toten?«, fragt ihr Vater nach, nun doch mit einiger Strenge. »Die Toten werden erst am Tage des Jüngsten Gerichts auferstehen. Ich höre es gar nicht gern, wenn du solche Dinge verharmlost.«
    »Ich habe sie nicht verharmlost«, sagt Nettie unbekümmert.
    Die Matrosen rappeln sich von ihren Segeln auf und zeigen zum Himmel, weit im Westen. Offenbar sehen sie dort etwas Aufregendes. Walter fasst sich ein Herz und fragt: »Sind das Engländer? Ich kann nicht verstehen, was sie sagen.«
    »Einige von ihnen sind Engländer, aber aus Gegenden, die für uns fremd klingen. Einige sind Portugiesen. Ich kann sie auch nicht verstehen, aber ich glaube, sie sagen, dass sie die Krabbentaucher sehen. Sie haben alle sehr scharfe Augen.«
    Walter glaubt, dass auch er sehr scharfe Augen hat, aber er braucht ein Weilchen, bevor er die Vögel sehen kann, die Krabbentaucher genannt werden. Schwärme von Seevögeln, die am Himmel aufleuchten, nichts als helle Punkte in der Luft.
    »Die müssen Sie unbedingt in Ihrem Tagebuch erwähnen«, sagt Netties Vater. »Ich habe sie schon auf einer meiner vorigen Reisen gesehen. Sie ernähren sich von Fischen, und hier ist die beste Stelle für sie. Bald werden Sie auch die Fischer sehen. Aber die Krabbentaucher, die den Himmel füllen, sind das allererste Zeichen, dass wir auf den Großen Bänken von Neufundland sein müssen.«
    »Sie müssen heraufkommen und sich mit uns auf dem Oberdeck unterhalten«, sagt er, als er sich von Walter verabschiedet. »Ich habe Geschäfte zu bedenken und kann meiner Tochter nicht oft Gesellschaft leisten. Ihr ist verboten umherzulaufen, denn sie hat sich immer noch nicht ganz von ihrer Erkältung im Winter erholt, aber sie unterhält sich gerne.«
    »Aber ich verstoße doch gegen die Vorschriften, wenn ich dorthin gehe«, sagt Walter, einigermaßen verwirrt.
    »Nein, nein, das hat nichts zu sagen. Mein Mädchen ist einsam. Sie liest und zeichnet gern, aber sie hat auch gerne Gesellschaft. Sie könnte Ihnen

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