Wozu wollen Sie das wissen?
hinterher mit ihr nach Hause ging. Wir nahmen beide unseren Mittagsimbiss mit zur Schule, aber ich war nicht ausdrücklich gebeten worden, ihn mit ihr zusammen zu essen, also tat ich es auch nie.
Es gab noch ein anderes Mädchen in der Schule, das weit genug weg wohnte, um sich ihren Mittagsimbiss mitbringen zu müssen. Sie hieß Wanda Louise Palmer, ihre Eltern besaßen den Tanzsaal im Süden der Stadt und wohnten auch dort. Ich hatte immer mit ihr zusammen gegessen, aber wir hatten uns nie als Freundinnen betrachtet. Jetzt jedoch bildete sich so etwas wie eine Freundschaft. Sie basierte einzig darauf, Frances aus dem Weg zu gehen. Wanda und ich aßen im Keller der Mädchen, hinter einer Barrikade aus zerbrochenen alten Pulten, die in einer Ecke aufgehäuft waren. Sobald wir aufgegessen hatten, stahlen wir uns aus dem Schulgelände hinaus, um durch die umliegenden Straßen zu schlendern oder in der Innenstadt Schaufenster anzuschauen. Wanda hätte eine interessante Kameradin sein müssen, weil sie im Tanzsaal wohnte, aber sie verlor bei dem, was sie erzählte, so oft den Faden (ohne zu reden aufzuhören), dass sie sehr langweilig war. Wir hatten eigentlich nur unser Bündnis gegen Frances und unser mit aller Macht zurückgehaltenes Gelächter, wenn wir durch die Pulte spähten und sahen, wie sie uns suchte.
Nach einer Weile suchte sie uns nicht mehr, sondern aß ihr Mittagbrot oben im Garderobenraum, allein.
Ich würde gern denken, dass es Wanda war, die auf Frances zeigte, wenn wir in einer Reihe standen und darauf warteten, ins Klassenzimmer zu können, als dem Mädchen, dem wir immer aus dem Weg zu gehen trachteten. Aber es kann auch sein, dass ich diejenige war, die das tat, auf alle Fälle machte ich dabei mit und war froh, auf der Seite derjenigen zu sein, die das Spiel der hochgezogenen Augenbrauen, der zusammengebissenen Lippen und des unterdrückten – wenn auch nicht vollständig unterdrückten – Kicherns trieben. Da ich nun einmal am Ende jener Straße wohnte und mich leicht in Verlegenheit bringen ließ, dabei aber, so unwahrscheinlich es klingen mag, eine Angeberin war, konnte ich nie für jemanden Partei ergreifen, der gedemütigt wurde. Ich konnte nie ein Gefühl der Erleichterung überwinden, dass ich es nicht war.
Die Haarbänder wurden ein Teil des Spiels. Allein auf Frances zuzugehen und sie zu fragen: »Dein Haarband ist aber schön, wo hast du das gekauft?«, damit sie in aller Unschuld antwortete: »In Chicago«, war eine unerschöpfliche Quelle der Belustigung. Eine ganze Weile wurde »In Chicago« oder einfach nur »Chicago« die Antwort auf alles.
»Wo warst du gestern nach der Schule?«
»In Chicago.«
»Wo hat deine Schwester ihre Dauerwelle machen lassen?«
»Na, in Chicago.«
Manche Mädchen prusteten schon bei dem Wort los, rangen nach Atem und taten so, als hätten sie Schluckauf, bis ihnen fast schlecht wurde.
Ich drückte mich nicht darum, mit Frances nach Hause zu gehen, obwohl ich ihr bestimmt zu verstehen gab, dass ich es nicht freiwillig tat, sondern nur, weil ihre Mutter mich darum gebeten hatte. Wie viel ihr von dieser besonderen, sehr weiblichen Schikane bewusst war, weiß ich nicht. Sie mag gedacht haben, dass es einen Ort gab, wo die Mädchen aus meiner Klasse immer zum Essen hingingen, und dass ich mich weiter daran hielt. Sie mag nie verstanden haben, warum wir alle kicherten. Sie stellte nie Fragen danach. Sie versuchte, beim Überqueren der Straßen meine Hand zu nehmen, aber ich gab sie ihr nicht und verbot es ihr.
Sie sagte, sie hätte immer Sadies Hand gehalten, als Sadie sie in Chicago zur Schule brachte.
»Aber das war anders«, sagte sie. »Hier gibt es keine Straßenbahnen.«
Eines Tages bot sie mir ein Plätzchen an, das von ihrem Mittagbrot übrig war. Ich lehnte ab, um mich ihr nicht verpflichtet zu fühlen.
»Nimm schon«, sagte sie. »Meine Mutter hat es für dich mitgegeben.«
Da verstand ich. Ihre Mutter gab dieses Plätzchen, diesen Leckerbissen, extra für mich mit, wenn wir zusammen unser Mittagbrot aßen. Sie hatte ihrer Mutter nichts davon gesagt, dass ich in der Mittagspause nicht auftauchte und dass sie mich nicht finden konnte. Sie musste das zusätzliche Plätzchen immer selbst gegessen haben, aber jetzt setzte ihr ihre Unredlichkeit zu. Also bot sie es mir von da an jeden Tag an, fast in letzter Minute, als schämte sie sich, und ich nahm es nun jeden Tag.
Wir begannen uns ein wenig zu unterhalten, doch stets erst, wenn wir
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