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Wozu wollen Sie das wissen?

Wozu wollen Sie das wissen?

Titel: Wozu wollen Sie das wissen? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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nach Hause, und komm ja nie wieder, um auf meinem Grundstück herumzumachen. Hau ab.«
    Miriam McAlpin war bekannt für ihre Neigung, andere anzuschnauzen. Ich hatte sie einmal im Lebensmittelgeschäft gehört, wo sie sich mit Stentorstimme über angestoßene Pfirsiche aufgeregt hatte. Die Art, wie sie mich behandelte, war vorhersehbar, und der Verdacht, in dem sie mich hatte, weckte in ihr ein eindeutiges Gefühl – das reinen Abscheus –, was mich auch nicht überraschte.
    Es waren die Männer, die mich anwiderten. Die Blicke, die sie mir zuwarfen, einerseits der sittlichen Missbilligung, andererseits der verstohlenen Einordnung. Das leichte, träge Erschlaffen und die Vergröberung ihrer Gesichtszüge, als der Schlammpegel in ihren Köpfen stieg.
    Der Stalljunge war herausgekommen, während das vor sich ging. Er führte ein Pferd, das einem oder beiden der Männer gehörte. Er blieb im Hof stehen, kam nicht näher. Er schien weder seine Chefin anzusehen noch die Pferdebesitzer, noch mich, schien sich überhaupt nicht für die Szene zu interessieren. Natürlich war er an Miriams Art, andere herunterzuputzen, gewöhnt.
    Was andere von mir dachten – nicht nur das, was die Männer oder Miriam über mich gedacht haben mochten, wobei beides auf seine Weise ziemlich gefährlich war, sondern überhaupt alles, das kam mir wie eine geheimnisvolle Bedrohung, eine grobe Unverschämtheit vor. Ich hasste es sogar, jemanden etwas relativ Harmloses sagen zu hören.
    »Ich hab dich neulich die Straße runtergehen sehen. Sah so aus, als schwebtest du über den Wolken.«
    Urteile und Vermutungen wie ein Schwarm Insekten, die versuchten, in meinen Mund und meine Augen zu gelangen. Ich hätte sie totschlagen mögen. Ich hätte ausspucken mögen.
     
    »Schmutz«, flüsterte meine Schwester mir zu, als ich nach Hause kam. »Schmutz hinten auf deiner Bluse.«
    Sie sah zu, wie ich sie im Badezimmer auszog und den Fleck mit einem harten Seifenstück bearbeitete. Wir hatten kein fließendes warmes Wasser, nur im Winter, also bot sie an, mir welches aus dem Kessel zu holen. Sie fragte mich nicht, wie der Schmutz dorthin gelangt war, sie wollte nur das Beweisstück entfernen, mich aus Schwierigkeiten heraushalten.
     
    An den Samstagabenden waren immer viele Menschen auf der Hauptstraße unterwegs. Zu der Zeit gab es nirgendwo in der Gegend so etwas wie ein Einkaufszentrum, und erst mehrere Jahre nach dem Krieg verlagerte sich der große Einkaufsabend auf den Freitag. Ich rede vom Jahr 1944 , als wir noch Bezugsscheinhefte hatten und es viele Dinge – wie neue Autos und Seidenstrümpfe – nicht zu kaufen gab, aber die Farmer mit den Taschen voll Geld in die Stadt kamen und die Geschäfte sich nach der Flaute der Weltwirtschaftskrise herausgemacht hatten und alle bis zehn Uhr offen blieben.
    Die meisten Städter erledigten ihre Einkäufe unter der Woche und tagsüber. Falls sie nicht in den Geschäften oder Restaurants arbeiteten, gingen sie dem Trubel am Samstagabend aus dem Weg, spielten mit ihren Nachbarn Karten oder hörten Radio. Frisch verheiratete Paare, verlobte Paare und Paare, die »miteinander gingen«, knutschten im Kino oder fuhren, falls sie die Benzinbezugsscheine zusammengebracht hatten, zu einer der Tanzdielen am See. Es waren die Leute vom Lande, die die Hauptstraße übernahmen, und es waren die jungen Männer und Mädchen vom Lande, die sich amüsieren wollten und Neddy’s Nachteule aufsuchten, wo es einen Tanzboden gab und jeder Tanz zehn Cent kostete.
    Ich stand mit einigen Freundinnen meines Alters ganz dicht am Tanzboden. Niemand kam, um für eine von uns zehn Cent auszugeben. Kein Wunder. Wir lachten laut, wir bekrittelten die Tänzer, die Frisuren, die Kleidung. Wir nannten manchmal eines der Mädchen eine Nutte oder einen der jungen Männer eine Tunte, obwohl wir mit beiden Wörtern keine genauen Vorstellungen verbanden.
    Neddy selbst, der die Karten verkaufte, drehte sich immer mal wieder zu uns um und sagte: »Müsst ihr Mädels nicht mal an die frische Luft?« Und wir stolzierten davon. Oder wir langweilten uns irgendwann und gingen aus eigenem Antrieb. Wir kauften Eiscremetüten und ließen uns gegenseitig daran lecken, um die verschiedenen Sorten zu probieren, wir gingen hochnäsig die Straße hinunter, um Knäuel von Männern herum, die ins Gespräch vertieft waren, oder durch spielende Kinder hindurch, die sich mit Wasser aus dem Trinkbrunnen bespritzten. Wir nahmen von niemandem Notiz.
    Die

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