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Wu & Durant 01 - Umweg zur Hölle

Wu & Durant 01 - Umweg zur Hölle

Titel: Wu & Durant 01 - Umweg zur Hölle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ross Thomas
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wußte das niemand, weil auch sie aus dem Märchenbuch kopiert worden waren.
    Noch ehe Simms das Portal erreichte, öffnete es sich. Der Mann, der es geöffnet hatte, mochte um fünfundfünfzig sein. Er war mittelgroß, hatte ein hartes, faltiges Gesicht, graues Haar und sichere Bewegungen. Er trug einen schwarzen Anzug mit weißem Hemd und dunklem Schlips. Er wurde Mark genannt, obwohl sein richtiger Name Marcello Balboni war, und er redete, wenn überhaupt, höchst selten, weil irgendwer ihm 1946 während eines Arbeitskampfs auf den Hoboken-Docks den größten Teil einer Dose Rohr-Ex in die Kehle geschüttet hatte. Er war Imperlino 1952 zum College-Examen geschenkt worden und tat, was Imperlino ihm zu tun auftrug.
    Balboni nickte Simms zu und forderte ihn mit einer anderen Sorte von Nicken auf, ihm zu folgen. Balboni hatte sich ein großes Reservoir von Gesten zugelegt, weil seine Stimme wie das Kreischen eines Papageis klang.
    Simms folgte Balboni durch einen mit dunklem Schiefer gepflasterten Gang, dessen hohe Wände mit altem, tiefbraunem Holz getäfelt waren, das im Licht fast purpurn schimmerte. In sorgfältig bestimmten Abständen hing eine Reihe alter Gemälde aus dem fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert, auf denen kostbar gekleidete Männer und Frauen abgebildet waren, die alle aussahen, als wären sie entweder mit Machiavelli oder den Borgias verwandt.
    Der Gang winkelte und krümmte sich mal hierhin, mal dorthin, bis nach einer weiteren verwirrenden Wende drei Stufen auftauchten, hinter denen ein paar Schritte weiter eine Tür sichtbar wurde. Balboni klopfte an, öffnete sie und forderte Simms mit einem Kopfnicken auf, einzutreten.
    Simms betrat eine bis zur Decke mit Bücherwänden ausgestattete Bibliothek, deren bleiverglaste Fenster auf einen kleinen, hübschen englischen Garten gingen. Der Raum selbst wirkte ausgesprochen maskulin mit dem alten Refektoriumstisch, der als Schreibtisch diente, den sparsam verteilten schweren Möbeln aus dunklem Holz und noch dunklerem Leder und der alten kostbaren Orientbrücke, die ein kleines Stück des polierten Fußbodens aus Eichenbohlen bedeckte.
    Vincent Imperlino stand mit einem Buch in der Hand am lodernden Kaminfeuer unter dem Porträt einer Frau. Simms war sich nicht sicher, ob er Imp je zu Hause ohne Buch in der Hand gesehen hatte.
    Imperlino lächelte Simms an, während sie einander die Hand reichten. Er hatte ein gewinnendes Lächeln, sehr weise, sehr vertrauenerweckend – ein Lächeln, das sich völlig von Simms’ warmem, seltsam scheuem Lächeln unterschied.
    »Schön, dich zu sehen, Reg«, sagte Imperlino. Simms sagte etwas ebenso Höfliches und sah dann zu, wie sein ehemaliger Zimmergenosse aus Bowdoin sich umdrehte und zu dem Ölbild der jungen Frau hochblickte, in der Simms jetzt Ivory Armitage erkannte.
    Imperlino versank einen Augenblick in den Anblick des Bildes. Er war hoch gewachsen, fast so groß wie Simms, und kräftig gebaut, mit erkennbarem Ansatz zu Übergewicht, das sich jedoch möglicherweise erst in ein paar Jahren einstellen würde. Er hatte eine feingeschnittene, schmale Nase, die die Brutalität seines Gesichts milderte, ebenso wie seine Augen, die wie geschmolzene Milchschokolade schimmerten, und deren sanfter, gütiger Ausdruck in unvereinbarem Kontrast zu dem ausladenden massigen Kinn und dem breitgezogenen, schmallippigen Mund stand, der, wenn er nicht gerade lächelte, hart und grausam und gnadenlos wirkte.
    Imperlinos Haar, an den Wurzeln schon ergraut, lag um seinen Schädel wie eine mittelalterliche Kappe und schien nachlässig mit den Fingern gekämmt, paßte aber perfekt zum Buch in der Hand und dem flaschengrünen Kaschmirpullover über dem blütenweißen Hemd und den dunkelgrauen Hosen. Imperlino hätte ebenso gut irgendein Professor für Literaturgeschichte an irgendeinem großen kalifornischen College sein können – allerdings möglicherweise ein rücksichtslos ehrgeiziger Professor mit Ambition auf den Posten des Dekans.
    Immer noch das Bild der verstorbenen Ivory Armitage betrachtend, sagte Imperlino: »Wie findest du es?«
    »Recht gut.«
    »Ja, nicht wahr? Ich habe es von dem Burschen malen lassen, der eine ihrer Schwestern, Lace, gemalt hat – sie ist inzwischen Schauspielerin. Er mußte natürlich nach Fotografien malen, aber da er früher ein- oder zweimal Ivory begegnet ist, konnte er sich an sie persönlich erinnern. Mir gefällt das Bild ausgezeichnet.« Imperlino wandte sich Simms zu. »Ein Drink,

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