Wu & Durant 02 - Am Rand der Welt
Aussicht auf den Hafen bot wie sein YMCA-Zimmer.
Jetzt saß er in einem kleinen, einfenstrigen Raum auf einem Holzstuhl mit gerader Lehne, das Hemd ausgezogen, die Arme über der Brust verschränkt, die Füße fest auf den Boden gestemmt, eine Dose kaltes Bier in Reichweite. Der Elektroventilator des YMCA blies ihm muffige Luft zu. Er dachte über sein Telefongespräch mit Washington nach. Er hatte angerufen, weil es einen losen Faden gab und seine pingelige Natur verlangte, daß lose Fäden entweder verknüpft oder gekappt wurden.
Der Anruf beim Secret Service hatte keins von beidem bewirkt. Statt dessen hatte er sich als heftiger Ruck an einem Faden erwiesen, der das ganze Gewirk aufriffeln und – falls er es richtig anpackte – zum schönsten Nimmerwiedersehensdeal aller Zeiten werden konnte, wobei die Gefahr einer Vergeltung so gering war, als existiere sie gar nicht. Den Scheiß-Durant einmal ausgenommen. Overby kam zu dem Schluß, daß er über Durant noch mehr nachdenken mußte.
Als Wu und Durant auf ihr Zimmer kamen, wedelte Georgia Blue mit der Quittung über 50000 Dollar unter Wus Nase herum. »Was, zum Teufel, soll das hier?« fragte sie.
»Genau das, was draufsteht. Du hast geschlafen. Wir brauchten das Geld. Also haben wir uns bedient und den Vermerk hinterlassen. Falls du eine genaue Abrechnung benötigst, kannst du sie haben, wenn alles vorüber ist.«
»Ich habe ein Recht zu erfahren, wofür ihr die fünfzigtausend verpulvert habt – und ich laß mich auch nicht mit dem ›Was-du-nicht-weißt‹-Scheiß abspeisen.«
Artie Wu schaute sich im Zimmer um. »Ich erinnere mich vage, daß hier irgendwo eine Flasche Scotch war.«
»Wofür habt ihr es verpulvert, Artie?« sagte sie.
»Wo ist die Flasche?« sagte Durant.
»Da drin«, sagte sie und deutete zum Schrank. »Oberstes Fach.« Sie wandte sich wieder an Wu. »Also?«
»Jetzt ist das heikle Stadium erreicht, Georgia, in dem Arbeitsteilung das sinnvollste ist. Du weißt nicht, wofür die fünfzigtausend gegangen sind. Wir wissen nicht, was Otherguy vorhat. Oder du, was das betrifft. Wir müssen von der Annahme ausgehen, daß jeder von uns nach den allgemeinen Richtlinien arbeitet, auf die wir uns in Manila geeinigt haben. Natürlich mit individuellen Improvisationen und Varianten.«
»Erzähl ihr von Otherguys Variante«, sagte Durant, während er mit der Scotchflasche in der einen und drei kleinen Gläsern in der anderen Hand zurückkam. Er goß Whisky in die Gläser und reichte sie Georgia Blue und Artie Wu.
»Was ist mit Otherguy?« fragte sie nach einem Schluck Whisky.
»Er hat ein Telefongespräch geführt und ist abgereist«, sagte Wu. »Keine Nachsendeadresse, wie die Spurensucher sagen würden.«
»Wen hat er angerufen?«
»Eine Nummer in Washington.« Wu schaute zu Durant. »Weißt du sie zufällig noch, Quincy?«
Durant blickte zur Decke hoch und rasselte die 202 634-5100 herunter, als sei die Nummer dort abgedruckt.
Wus Augen blieben auf Georgia Blue gerichtet. Sie trug nur einen dünnen, weißen Seidenüberwurf, der nicht gerade durchsichtig, aber so hauchfein war, daß Artie Wu fast glaubte, er könne die Röte ihren Körper hochschießen und ihre Wangen färben sehen.
»Ihr Scheißer«, sagte sie. »Ihr habt sie angerufen, oder?«
»Erkennst du die Nummer wieder, Georgia?« fragte Durant.
»Das ist die Nummer des Service. Vom Büro in der Connecticut Avenue.«
»Fragst du dich nicht, warum Otherguy den Secret Service angerufen hat«, sagte Durant.
»Um rauszufinden, ob ich noch für sie arbeite. So funktioniert doch dieses Rattennest, das er als Denkapparat benutzt.«
»Und tust du das, Georgia?« fragte Wu sanft. »Noch immer für sie arbeiten?«
»Natürlich, Artie.«
Wu lächelte. »Das hätte ich nicht gedacht.«
»Aber sicher warst du dir nicht, oder?«
Noch immer lächelnd, zuckte Wu die Achseln.
»Hast du meine Anrufe von heute überprüft?« fragte sie.
»Nur die von Otherguy«, sagte Wu.
»Wenn du meine überprüft hättest, hättest du rausgefunden, daß ich Harry Crites angerufen habe.«
»Den Mann mit dem Geld«, sagte Durant.
Sie nickte. »Den Mann mit dem Geld. Ich habe ihn gebeten, alles nach Hongkong zu überweisen. An die Hongkong-and-Shanghai-Bank.«
»Welche Zweigstelle?« fragte Wu. »Diese neue Zentrale, die sie in der Des Voeux Road gebaut haben?«
»Genau die. Ich habe Crites gebeten, ein Gemeinschaftskonto einzurichten, Artie. Auf Booth Stallings’ Namen und meinen. Fünf
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