Wu & Durant 02 - Am Rand der Welt
abgenommen habe und eisern entschlossen sei, dieses Gewicht auch nicht mehr zuzulegen. Stallings stufte den Anzug automatisch als offenkundig falsches Zeugnis eines aufrechten Charakters ein.
Mit seinem einzigen Gepäckstück – einer abgewetzten Gladstone-Tasche aus Büffelleder, die er vor Jahren in Florenz gekauft hatte – ging Stallings auf den Mann mit dem Schild zu. Als sie noch sieben oder acht Schritte voneinander trennten, nahmen sie Blickkontakt auf, eine Handlung, die von einem gewissen Maß an Unerschrockenheit zeugte und zu der sich, wie Stallings bemerkt hatte, immer weniger Amerikaner bereitfanden.
Der Blick aus den kühlen blaugrünen Augen des Mannes schien über Stallings hinwegzugleiten, um ihn anschließend zu verwerfen. Stallings ging fünfzehn Schritte an dem Mann vorbei, blieb stehen und drehte sich um.
Der Mann mit dem »Mr. Stallings«-Schild stand geduldig da und musterte jeden der etwa zweihundert männlichen Economy-Passagiere, die noch immer aus der Boeing 747 herausdefilierten. Die Füße des Mannes standen etwas weniger als einen halben Meter auseinander, sein Rücken war gerade, das Becken leicht vorgeschoben. Es war die Haltung eines Mannes, der alles weiß, was es über das Warten zu wissen gibt.
Stallings ging ein paar Schritte zurück, bis er direkt hinter dem Mann mit dem Schild stand. »Otherguy Overby, nehme ich an«, sagte er.
Wenn er nicht darauf geachtet hätte, wäre Stallings vielleicht Overbys kaum merkliches Auffahren entgangen, das eigentlich nicht mehr als ein Zucken war. Aber Overby drehte sich nicht um. Statt dessen, noch immer die ankommenden Passagiere musternd, sagte er: »Nach dem, was mir Ihr Schwiegersohn am Telefon erzählt hat, hab ich mir gedacht, daß Sie es sind. Ein alter Knacker, hat er gesagt, der komische Billigklamotten trägt, dazu einen College-Haarschnitt vom Barbier, und in einer Art Walzertakt läuft. Schwer zu verfehlen, hat er gesagt.« Overby drehte sich ohne erkennbare Eile um und musterte Stallings mit derselben zeitraubenden Sorgfalt. »Er hatte recht.«
»Wo reden wir?« sagte Stallings. »Hier, da oder an der Bar?«
»Solange Sie mit der Ha-ha-Masche nicht aufhören, überhaupt nicht. Wenn ja, wüßte ich da schon was.«
»Gehen wir.«
»Irgendwelches Gepäck abzuholen?«
Mit der Miene eines Menschen, dem gerade eine besonders dumme Frage gestellt wurde, wandte sich Stallings ab und steuerte zur Rolltreppe, wo ein vierfarbiges Foto des Bürgermeisters, der Gouverneur werden wollte, auf die ankommenden Fluggäste herabstrahlte.
Als sie bei dem Mercedes auf dem zweiten Deck des Parkhauses gegenüber vom Flughafengebäude ankamen, warf Stallings einen mißbilligenden Blick auf den Wagen und wandte sich dann an Overby.
»Ihrer?«
»Nein.«
»Gut.«
»Haben Sie immer noch was gegen die Krauts?« sagte Overby, während er die Türen aufschloß und hinter das Lenkrad schlüpfte.
Stallings öffnete die nun entriegelte Tür auf seiner Seite, warf die Büffelledertasche auf den Rücksitz und stieg ein. »Ich habe bloß nicht gern mit jemandem zu tun, der sich mit einem Auto für fünfundfünfzigtausend Dollar schmücken muß.«
Overby startete den Motor, legte den Rückwärtsgang ein, änderte seine Meinung, schaltete zurück in Parkstellung und starrte Booth Stallings an. »Was sind Sie eigentlich, Mann – eine Art Komiker?«
Stallings zeigte sein dünnstes Lächeln. »Hat dieser Schwiegersohn von mir es nicht erwähnt? Ich spiele den alten Kauz.«
Overby legte wieder den Rückwärtsgang ein. »Irgendwie geht es einem auf die Nerven.«
»Das soll es auch«, sagte Stallings.
Keiner sprach ein Wort, bis sie auf dem San Diego Freeway waren und nach Norden fuhren. Hier fragte Stallings schließlich: »Wohin fahren wir?«
»Malibu.«
»Jesus«, sagte Stallings.
Als sie sich der Abfahrt zum Santa Monica Freeway näherten, sprach Stallings erneut. »In welcher Richtung liegt Pelican Bay?«
Overby warf Stallings einen kurzen Blick zu und achtete dann wieder auf die Straße. »Südlich.«
»Erzählen Sie mir davon – von Ihnen und Pelican Bay.«
»Sie wissen es schon, sonst würden Sie nicht fragen.«
»Was ich weiß«, sagte Stallings, »habe ich aus den kalifornischen Zeitungen in der Kongreßbibliothek. Es fehlt noch die gewisse Würze.«
Overby antwortete nicht, bis er auf dem Santa Monica Freeway war und den Mercedes auf die äußerste linke Spur gezogen hatte, wo sie mit konstanten sechzig Meilen pro Stunde dem
Weitere Kostenlose Bücher