Wu & Durant 02 - Am Rand der Welt
und hatten gefrühstückt. Als Stallings seine dritte Tasse Tee geleert hatte, lehnte er sich zurück und sagte: »Reden wir über deine fünf Millionen, Al.«
»Gibt es die denn wirklich?«
»In Hongkong.«
»Weißt du, Marcos hat mal ein Kopfgeld auf mich ausgesetzt. Zweihunderttausend Pesos – ungefähr zehntausend amerikanische Dollar. Das war Geld, das du begreifen kannst – sogar zählen. Aber fünf Millionen US-Dollar?« Er schüttelte den Kopf.
»Was wirst du damit anfangen, Al? Waffen kaufen?«
»Natürlich.«
»Wenn ich mir das ausmalen kann«, sagte Stallings, »dann können das die Geldgeber auch. Was uns zum Hauptpunkt führt. Wer, zum Teufel, sind die?«
»Du hast nicht mit ihnen gesprochen?«
»Nur mit einem Kerl, der sie zu vertreten behauptet. Er sagt, sie wären ein Konsortium von Firmen, die hier eine oder zwei Milliarden investiert haben und die es nicht stört, fünf Millionen auszugeben, um ihr Geld wieder rauszukriegen oder sogar ein bißchen Gewinn zu machen. Sie glauben, wenn du erst in Hongkong bist, fällt deine Bewegung auseinander, und die Aquino kann alles wieder zusammenflicken.«
»Aber du hast die Lügen nicht geglaubt, die ihr Abgesandter dir erzählt hat?«
»Nein.«
»Warum bist du dann gekommen?«
»Man hat nach mir geschickt, oder nicht?«
»Ja. Hat man.« Espiritu musterte Stallings zehn oder fünfzehn Sekunden lang, runzelte dann die Stirn und sagte: »Möchtest du wissen, was wirklich passieren wird?«
»Sicher. Was?«
Espiritu holte tief Luft. »Erstens, Aquino hat keine Chance.«
Stallings grunzte. »Was ist zweitens?«
»Seit vier Jahrhunderten sind die Philippinen von Oligarchien der einen oder anderen Couleur regiert worden. Mrs. Aquino ist lebenslanges Mitglied der derzeitigen Clique, und weil sie eine von ihnen ist, wird man ihr neun Monate, ein Jahr, vielleicht sogar mehr zugestehen – bis die Wirtschaft zusammenbricht. Bis dahin wird der sogenannte Februaraufstand längst vergessen sein, oder man erinnert sich daran nur als an ein großes Täuschungsmanöver. Füge zur Desillusionierung den totalen Zusammenbruch der Wirtschaft hinzu, und du kriegst Unruhe im ganzen Land – Streiks, Aufstände und ähnliches. Rat mal, wem sie das in die Schuhe schieben werden.«
»Den Kommunisten.«
»Natürlich. Dann wird man härtere militärische Maßnahmen verlangen und durchführen, gefolgt vom unvermeidlichen Militärputsch. Die neue Junta – oder der neue erhabene oberste Führer – wird versprechen, die Roten zu verdreschen, wieder für Wohlstand zu sorgen, und in sechs Monaten, einem Jahr, zwei Jahren – irgendwann – freie Wahlen abzuhalten. Die Elite wird gemeinsam vor Erleichterung aufseufzen. Aus Washington wird Geld zur Ausmerzung der Terroristen fließen, und dann wird alles zum Status quo ante zurückkehren, was der Elite bestens paßt.«
»Historische Unvermeidbarkeit, wie?«
»Unvermeidbar ist nur, daß du und ich, Booth, sterben werden. Wir wissen bloß nicht, wann. Wenn wir es wüßten, würden wir alles dafür geben, es hinauszuschieben. Tja, deine Geldgeber, wer immer sie auch sind, wollen nichts hinausschieben. Sie möchten es beschleunigen.«
Stallings lächelte sardonisch. »Je früher du also deine Waffen bekommst, desto schneller wird geputscht.«
»Genau«, sagte Espiritu und lächelte. »Sie brauchen mich wirklich dringend, Booth.«
Stallings nickte versonnen. »Fünf Millionen scheinen mir dafür nicht ganz genug.«
Achselzuckend sagte Espiritu: »Es ist Startgeld. Nicht mehr.«
»Vermutlich«, sagte Stallings und schaute sich im Zimmer um. »Wo ist Carmen?«
»Sie war vorhin hier, ist aber wieder gegangen.«
»Wer, zum Teufel, ist sie, Al?«
»Meine Frau.«
»Und davor?«
»Die Tochter eines alten Freundes, den Marcos vor Jahren einsperren und verhören ließ. Sie haben ihm Fragen gestellt, die ihn durstig machten. Also haben sie ihm Wasser zu trinken gegeben – fünfzehn, zwanzig, ja sogar fünfundzwanzig Liter auf einmal. Natürlich ist er gestorben. Carmen war damals zwölf oder dreizehn. Ich habe mich um ihre Ausbildung gekümmert. Und hinterher hat sie sich entschieden, sich uns anzuschließen. Zuerst in Luzon und später hier unten.«
»Und warum hast du sie geheiratet, Al? Sex war’s nicht, es sei denn, du hättest dich gewaltig verändert.«
»Sex ist mir immer als – große Zeitverschwendung erschienen. Ich habe sie aus Gründen der politischen Zweckmäßigkeit geheiratet, weil ich gerade den
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