Wuensch dir was
hatte sie dort unten nur Lucy angetroffen – und eine zweite junge Frau, die angeblich Lucys Cousine Michele war. Frida wusste, dass Lucy keine Cousine hatte. Sie war praktisch seit dem Kindergarten mit Ellie befreundet, und von einer Michele war all die Jahre nie die Rede gewesen. Frida hatte diese »Cousine« sogar gefragt, ob sie aus Chicago stamme, wohl wissend, dass niemand aus Ellies Familie je in Chicago gelebt hatte, und das Mädchen war prompt in die Falle getappt und hatte die Frage bejaht. Zugegeben, rein optisch hätte diese Michele eine Zwillingsschwester
von Ellie in jungen Jahren sein können. Andererseits war das schon sehr lange her, und die Ähnlichkeit konnte auch ein reiner Zufall sein, sagte sich Frida.
Da war eindeutig irgendetwas faul. Was führte Lucy im Schilde? Womöglich war diese Michele eine Krankenschwester, oder – schlimmer noch – eine Sozialarbeiterin, die von Ellies Familie damit beauftragt worden war, über Ellies Zukunft zu entscheiden. Die Angst schnürte Frida die Kehle zu. Wie sollte sie ohne Ellie zurechtkommen? Ellie war ihre engste Freundin; mehr noch, sie war wie eine Schwester für Frida.
Wie es sich für einen chronisch ängstlichen Menschen gehört, war Frida eine wahre Meisterin, wenn es darum ging, voreilige Schlüsse zu ziehen.
Aber sie hatte auch eine andere Seite, eine vernünftigere, und die Stimme der Vernunft sagte ihr, dass Ellie ja vielleicht wirklich zu Barbara gefahren war. Sie würde Barbara einfach anrufen. Das hatte sie ohnehin vorgehabt, weil sie sich für den gestrigen Abend bedanken wollte. Das war die perfekte Ausrede. Niemand würde vermuten, dass sie sich Sorgen um Ellie machte. Falls Ellie tatsächlich zu Barbara gefahren war, wie Lucy gesagt hatte, dann waren ihre Sorgen völlig unbegründet. Fall abgeschlossen. Nächstes Thema. Frida hatte auch so schon genügend zu tun heute. Erst musste sie einen angeschlagenen Pfirsich zum Laden zurückbringen, und danach würde sie vielleicht
noch auf einen Sprung in das Selbstbedienungscafé in der Walnut Street gehen. Nicht, dass sie sich dort je einen Kaffee gegönnt hätte. Frida konnte nicht begreifen, wie ein vernünftiger Mensch drei Dollar für einen Becher Kaffee ausgeben konnte, dessen Herstellungskosten keine zehn Cent betrugen. Der Grund für Fridas Besuche in besagtem Café waren die Süßstoffpackungen, die dort haufenweise griffbereit auf einem eigenen kleinen Tresen lagen, gleich neben den kleinen Plastikbechern mit Kaffeesahne. Frida brauchte Nachschub.
Alle Welt, selbst ihre beste Freundin Ellie, nahm an, dass Fridas Ehemann Sol kurz vor seinem Tod wegen einiger Fehlinvestitionen sein Vermögen verloren hatte und dass Frida seither praktisch mittellos war. In Wahrheit war Frida schon zu Sols Lebzeiten für die Finanzen zuständig gewesen, und sie hatte zwei Millionen auf der Bank, was sie nicht daran hinderte, stets »für magere Zeiten« zu sparen, die allerdings hartnäckig auf sich warten ließen. Den Tipp mit dem Süßstoff hatte Frida von ihrer älteren Schwester Gert, Gott hab sie selig. Gert hatte noch die Weltwirtschaftskrise miterlebt, und bei ihrem Tod hatte sie einen Süßstoffvorrat hinterlassen, mit dem man den Bedarf einer diabetesverseuchten Kleinstadt hätte decken können; ein Erbe, das Frida voll Stolz angetreten hatte.
Frida nahm ihr Adressbuch zur Hand, um Barbaras Nummer nachzuschlagen, und setzte sich aufs Sofa –
nur für den Fall, dass es schlechte Neuigkeiten geben sollte.
»Ja bittä?« , quäkte es aus dem Hörer. Barbaras hohe, näselnde Stimme ließ alles, was sie sagte, wie Gequengel klingen. Was Frida wohlweislich mit keinem Sterbenswort erwähnte, insbesondere gegenüber Ellie. Sie wollte niemanden kränken.
»Hallo, Barbara, hier spricht Frida … du weißt schon, die Freundin deiner Mutter.«
»Frida«, Barbara legte eine Kunstpause ein. Sie klang leicht irritiert. »Ich kenne dich schon mein ganzes Leben; ich weiß, wer du bist.«
»Entschuldige bitte.« Frida zog automatisch den Kopf ein. Hatte sie Barbara verärgert? Das wäre nämlich äußerst unklug. Barbara durfte man auf keinen Fall reizen. Wenn sie in Rage geriet, traten selbst die mutigsten Männer den Rückzug an. Ihre Wutausbrüche konnten die verheerende Wirkung einer Atombombe entfalten.
»Hätte ja sein können, dass du mehrere Fridas kennst«, murmelte Frida in der Hoffnung, damit die Wogen ein wenig zu glätten.
»Zum letzten Mal, Frida: Ich weiß, wer du bist, und es ist noch
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