Wuensch dir was
Philadelphia. Selbst wenn mich in diesem Aufzug jemand gesehen hätte, es wäre mir egal gewesen. Ich konnte nur noch an meine Wohnung denken. Wenn ich nur heil nach Hause kam! Ich wollte bloß noch ins Bett und dort für immer bleiben. Mühsam schleppte ich mich voran, von einer Ecke zur nächsten. Die Leuchtreklametafeln an den Häuserfronten, rot und gelb und blau, waren mein einziger Anhaltspunkt. Der längliche rote Fleck in der Chestnut Street, der die gesamte Fassade glühen ließ, das musste der Schriftzug des Continental Restaurant sein. Es war also nicht mehr weit. Nur noch ein paar Blocks, dann war ich zu Hause, in Sicherheit. An diesen Gedanken klammerte ich mich.
Die Verwandlung, die ich in den vergangenen Stunden durchgemacht hatte, war nicht nur körperlicher Natur. Vor kurzem noch war ich glücklich gewesen – mehr als das, trunken vor Freude, ekstatisch. Jetzt war ich trauriger denn je zuvor.
Endlich hatte ich den Rittenhouse Square erreicht
und steuerte auf das Gebäude zu, in dem ich wohnte. In der Entfernung konnte ich eine Gestalt ausmachen.
Ich vernahm eine Stimme. »Mrs. Jerome?«
»Ken?« Ich blieb stehen und starrte mit zusammengekniffenen Augen der vertrauten Gestalt entgegen, die nun eilig auf mich zukam. Ken legte mir eine Hand auf die Schulter, und da wusste ich, dass ich endlich zu Hause war.
»Ist alles okay, Mrs. Jerome?«, fragte er mich.
»Ja, es geht mir gut.« Vor dem Eingang blieben wir stehen. »Machen Sie denn nie Feierabend?«, fragte ich, als er mir die Tür aufhielt.
»Ich habe Carl, den Nachtportier, wieder nach Hause geschickt und die ganze Nacht nach Ihnen Ausschau gehalten, weil sich Ihre Familie Sorgen um Sie gemacht hat.«
»Danke, Ken.« Ich hörte die Aufzugtüren aufgleiten. »Sind sie oben in meiner Wohnung?«
»Ja. Ihre Tochter kam vorhin mal kurz runter, um eine Weile mit mir zu warten, aber ich habe sie wieder nach oben geschickt und ihr empfohlen, sich ein bisschen hinzulegen.« Er streckte den Arm aus, damit der Aufzug nicht davonfuhr.
»Danke, dass Sie sich um meine Familie gekümmert haben, Ken.«
»Soll ich Sie nach oben bringen?«, erkundigte er sich.
»Nein, nicht nötig, aber ich muss meine Handtasche verloren haben …«
»Kein Problem, Mrs. J.« Er sprintete zum Empfangstresen und kehrte mit einem Schlüsselbund zurück. »Den hat Lucy für Sie hinterlegt, für alle Fälle. Soll ich Sie wirklich nicht begleiten?«
»Das ist sehr liebenswürdig von Ihnen, Ken, aber danke, nein.« Ich nahm die Schlüssel entgegen. »Ab hier schaffe ich es alleine.«
»Sie sind schließlich auch immer sehr nett zu mir, Mrs. J.«, entgegnete er, während sich die Aufzugtüren schlossen. »Schön, dass Sie wieder da sind.« Ich konnte an seiner Stimme hören, dass er lächelte.
Oben sperrte ich meine Wohnungstür auf und erblickte auf meinen Sofas und Sesseln die verschwommenen Umrisse dreier Menschen.
»Gram?«, hörte ich Lucy flüstern. Sie erhob sich bedächtig von ihrem Sessel.
»Ja«, antwortete ich und schlug den Weg ins Schlafzimmer ein. »Ich bin wieder da. Ich gehe ins Bett.«
»Ellie?« Das war Frida. Ich drehte mich zu ihr um.
»Ich wette, dir tut der Rücken genauso weh wie mir, Frida. Geh nach oben und leg dich schlafen.«
Ich betrat mein Schlafzimmer und trat an den Nachttisch, wo ich, wie ich wusste, meine Brille hatte liegen lassen. Ich setzte sie auf. Endlich sah ich wieder klar.
»Mom?« Ich fuhr herum. In der Tür stand Barbara. Sie trug einen meiner Morgenmäntel; der Gürtel reichte mit knapper Not um ihre Hüften. Die Haare waren nicht wie sonst zu einem strengen Pferdeschwanz zusammengebunden,
sondern hingen ihr unordentlich ins Gesicht, was sie seltsamerweise besser aussehen ließ.
»Barbara.« Ich seufzte. »Bitte erspar mir deine Strafpredigt. Ich bin erschöpft und würde jetzt gern schlafen gehen.«
»Ich hatte gar nicht vor, dir eine Strafpredigt zu halten.« Sie atmete aus und lächelte leicht. »Ich bin bloß froh, dass du wieder da bist.«
Ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte. Ich hatte ganz vergessen, was wir besprochen hatten, ehe ich zu meiner Verabredung mit Zachary aufgebrochen war. »Nun … danke.« Ich ging auf sie zu. »Ich brauche jetzt einfach Ruhe.«
Sie kam mir entgegen. »Mom?«
»Ja?«, hauchte ich.
Sie zog mich an sich und schloss mich in die Arme, den Kopf an meine Schulter gelehnt. Mir stand in diesem Augenblick der Sinn nicht nach Zärtlichkeit. Ich hatte nicht die geringste Lust,
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