Wünsche (German Edition)
keinen guten Eindruck hinterlassen hatte.
»Was soll ich sagen?«, fragte ich lächelnd. »Julian hat mein Herz im Sturm erobert.«
»Ich habe mir die Freiheit genommen und Dr. Hartmann heute Morgen angerufen. Der Junge liegt im Sterben und hat nicht mehr viel Zeit. Das ist Ihnen klar?«
»Natürlich«, versicherte ich ihm.
»Dann lassen Sie mich Ihnen eine Frage stellen. Nehmen wir mal an, wie durch ein Wunder wäre Julians Krebs über Nacht plötzlich weg. Was dann?«
Er schaute mich skeptisch und herausfordernd an.
»Ich denke, ich weiß, worauf Sie hinaus wollen. Wenn das passieren würde, wäre ich vermutlich der glücklichste Mensch auf der Welt. Ich möchte das nicht aus einer Laune heraus machen. Auch nicht aus reinem Mitleid.«
»Sie sind also dazu bereit, sich auch um ihn zu kümmern und die Verantwortung für ihn zu übernehmen, falls er überleben sollte?«
»Absolut«, sagte ich sofort. »Und ich würde alles dafür geben, dass er überlebt.«
Richter Ahrens schaute mich lange mit forschenden Augen an.
»Ihnen ist sicher klar, dass eine Adoption im Normalfall Monate in Anspruch nimmt?«
»Selbstverständlich. Aber diese Monate hat Julian nicht mehr.«
»Das ist der einzige Grund, warum ich überhaupt zugestimmt habe, mir diesen Fall auch nur anzuhören.« Er schaute mich einen Augenblick schweigend an. »Und Sie sind sich sicher, dass es das ist, was der Junge möchte?«
»Julian weiß nichts von unserem Gespräch und dem Treffen hier. Aber ich bin mir sicher. Warum gehen wir nicht zu ihm? Dann können wir ihn fragen.«
Richter Ahrens nickte und stand auf. Wir gingen gemeinsam zum Fahrstuhl und fuhren in Julians Stockwerk.
»Julian hat nach Ihnen gefragt«, sagte Dr. Hartmann, der gerade aus Julians Zimmer kam.
»Wie geht es ihm?«
»Ein bisschen besser. Er hat noch immer Schmerzen, aber sie sind erträglich.«
»Dürfen wir zu ihm?«
»Selbstverständlich. Er ist wach.«
Ich bedankte mich bei Dr. Hartmann und klopfte leicht an dir Tür.
»Ich bin es«, sagte ich, als ich die Tür hinter uns schloss.
»Hi, David«, sagte Julian. Er klang munter und fröhlich.
»Ich habe jemanden mitgebracht.«
»Ja?«, fragte er neugierig und schaute sich um.
»Ich erkläre dir gleich, warum sie hier sind. Aber erst mal muss ich dir eine Frage stellen.«
»Okay. Was denn?«
»Es geht um deinen Wunsch. Den am Teich im Wintergarten. Du wolltest mir nicht sagen, was du dir gewünscht hast. Ich wüsste aber gerne, ob ich ihn dir erfüllen kann. Kannst du mir sagen, ob es ein Wunsch ist, den nur ich dir erfüllen kann?«
Es dauerte einen Augenblick, doch dann nickte Julian. Außerdem nahm sein Gesicht einen neugierigen Ausdruck an.
»Das dachte ich mir«, sagte ich und lächelte. »Julian, wie kann ich dir den Wunsch erfüllen, wenn ich nicht weiß, was du dir wünschst?«
Julian winkte mich zu sich heran.
»Kommen Sie näher«, bat er mich.
»Was ist denn?«, fragte ich.
»Kommen Sie näher. Ich möchte Ihnen etwas ins Ohr flüstern.«
Ich sah einen Moment meine beiden Begleiter an. Beide schluckten und hatten einen traurigen Ausdruck im Gesicht. Ich beugte mich über Julian, sodass mein Ohr ein paar Zentimeter von seinen Lippen entfernt war. Julian legte die Arme um meinen Hals und zog mich noch ein kleines Stückchen näher an sich heran.
»Wenn ich Ihnen den Wunsch verrate,« hauchte er, »wird er niemals wahr.«
Ich umarmte ihn einen Moment fest und legte ihn wieder zurück auf das Bett. Dann holte ich tief Luft und räusperte mich.
»Julian, ich möchte dir gerne Sebastian Rabe vorstellen. Wir kennen uns schon sehr lange ‒ genau genommen, seitdem wir zusammen in die Grundschule gegangen sind. Außerdem ist er mein Anwalt. Neben ihm steht Richter Ahrens.«
»Hallo, Julian«, sagten beide fast zur gleichen Zeit.
»Hi«, sagte Julian ein wenig schüchtern.
Die Neugier stand ihm aber ins Gesicht geschrieben.
»Herr Ahrens ist Richter am Familiengericht«, erklärte ich. »Weißt du, was das heißt?«
Julian schüttelte den Kopf.
»Er kümmert sich um Familienangelegenheiten. Zum Beispiel Scheidungen, Streit um das Sorgerecht...« Ich machte eine kurze Pause. »...und Adoptionen«, fügte ich hinzu.
Julian lauschte neugierig und beim Wort Adoptionen begann er breit zu grinsen.
»War das dein Wunsch, Julian?«, fragte Richter Ahrens. »Dass Herr Engel dich adoptiert?«
»Ja«, antwortete er fröhlich. Er richtete den Blick in die Richtung, aus der die Stimme kam. »Sind Sie
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