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Wünsche

Wünsche

Titel: Wünsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Kuckart
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rechnen anfangen, sagte Karatsch, ich bin zwanzig Jahre älter als meine Frau und sehe auch so aus. Sie hingegen sieht wesentlich jünger aus, als sie ist, was an meiner guten Pflege liegt.
    Das sollte witzig klingen, trotzdem wirkte Karatsch unsicher. Ja, so unsicher konnte einer sein, der eigentlich immer ziemlich cool für sein Alter war, vor allem, wenn er Saxofon spielte wie Coleman Hawkins, so dass bei seinem Body and Soul die Leute auf der Straße unter dem Fenster stehen blieben.
    Hat Ihre Frau einen Ausweis mitgenommen?
    Nein.
    Jeder Erwachsene kann im Prinzip tun und lassen, was er will, sagte der Beamte. Auch Ihre Frau kann den Wohnort innerhalb Europas wechseln. Das ergibt sich aus der Grundfreiheit gemäß EG -Vertrag, Artikel 39.
    Daraus ergibt sich was?!
    Freizügigkeit.
    Frei-zügig-keit? Karatsch hatte das Wort auseinandergezogen, als sei es das Unanständigste, was er je gehört hatte.
    Frei-zügig-keit? Aber nicht meine!
    Die Heizung unter dem Bürofenster knackte. Das Telefon klingelte. Der Beamte nahm ein Gespräch an, das offensichtlich privat war. Karatsch hatte Jo mit sich fortgezogen.
    Komm, Sohn, wir gehen.
    Sohn hat Karatsch ihn immer schon genannt, als sei Sohn ein Vorname.
    Vor dem Polizeirevier standen zwei Putzfrauen in Kitteln und rauchten. Mutter rauchte auch, manchmal. Karatsch mochte das nicht. Aber Mutter mochte auch Pommes rot-weiß, er nicht. Beide hatten gern abends am Küchentisch gesessen. Mutter hatte über ihren alten Film gesprochen sowie von der Vorstellung, eines Tages in einem neuen wieder aufzutauchen. Absurd, hatte Karatsch dazu gesagt, du bist keine Schauspielerin, mein Mädchen, bleib mal schön hier bei mir.
    Eine der Putzfrauen trug eine blonde Perücke und lachte tief und melodisch, als sie an den beiden vorbeigingen. Wie Mutter. Karatsch war wie ein angestochenes Kalb neben ihm hergelaufen. Als Vater taugte er schon längst nicht mehr. Hatte er eigentlich noch nie getaugt. Karatsch war auf seinen silbernen Volvo zugelaufen, der mit den Hinterrädern in einer riesigen Pfütze wartete, er hinterher.
    Ob Mutter mittlerweile auch irgendwo Putzfrau war und sich ganz anders nannte? Ob sie abends neben einem anderen Mann an einem anderen Küchentisch saß und Erdnüsse aß? Ob sie Fernsehen schaute mit Fremden und zum Sport ging? Ob sie Sätze sagte wie: Bitte die Rechnung aufs Zimmer. Sätze, die Karatsch immer für sie gesagt hatte.
    Ob Jo sich Sorgen um sie machen musste?
    Nein.
    Ob es ihr gut ging?
    Wahrscheinlich.
    3.
    Als Einziger an Bord verhängte Jo seine Luke nicht. Die anderen konnten und wollten das Meer nicht mehr sehen und klebten irgendetwas, das sie vermissten, vor die Aussicht aufs Wasser. Eine Landschaft, ein Motorrad.
    Ein seidenes Tuch als Ersatz für die Haut einer Frau.
    4.
    Schick. Sogar mit richtigem Sofa und wie in einem Hotelzimmer, hatte Karatsch gesagt, als er Jo im Februar in einer Kajüte des Containerschiffs Hiroshima ablieferte.
    Aber Karatsch, die Zeiten, wo man an Bord in Hängematten schlief, sind vorbei.
    Weiß ich doch nicht.
    Dann red nicht so.
    Aber du kennst mich doch, Sohn, ich rede immer mit, selbst wenn ich nichts von der Sache verstehe.
    Als Karatsch später von Bord ging, drehte er sich am Ufer beim ersten Molenkopf noch einmal um: War ein schöner Tag, Sohn! Jo hatte über der Reling gehangen und zu ihm heruntergeschaut. Vor wenigen Tagen erst, als er früher als erwartet von einer Party nach Hause gekommen war, hatte er eine Frau aus dem Bungalow kommen sehen. Ein Taxi wartete bereits mit laufendem Motor. Die Frau toupierte mit beiden Händen ihre Haare, während sie sich auf der Türschwelle von Karatsch verabschiedete. Dann hielt sie ihm die Umhängetasche hin, und er steckte etwas hinein. Geld, vermutete Jo. Die Frau hatte er an Silvester schon einmal gesehen. Er hatte Karatsch manchmal mit Frauen gesehen, aber nie geglaubt, dass Mutter deswegen fortgegangen war.
    Über die Reling gebeugt hatte Jo Karatsch unten am Ufer stumm zugenickt. Zurück in seiner Kajüte hatte er den Seesack unausgepackt beim Klapptisch stehen lassen. Die neuen Sicherheitsschuhe, die neue gelbe Regenkleidung, eine neue Edition mit Johnny-Cash- CD s, alles mit Mutter ausgesucht und alles von Karatsch bezahlt. Nur zwei Taschenbücher stellte er vor dem Schlafengehen auf das Regal über dem roten Klappsofa. Joseph Conrad: Jugend und Herz der Finsternis . Die Bücher hatte er von Veras Vater, der als Vater für sie schlimm, als Großvater für ihn

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