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Wünsche

Wünsche

Titel: Wünsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Kuckart
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Türrahmen.
    Es ist Samstag, acht Uhr in der Frühe und nicht die Zeit, unangemeldet bei einem Fremden vor der Tür zu stehen. Aber sie sind richtig hier. Vera Conrad, c/o Kennedy.
    Gestern am späten Nachmittag sind sie mit Jo am Steuer zu Hause losgefahren. Hecken, ein Bahndamm, der Friedhof, dann der Neubaukomplex des Altersheims. Davor das Grün der Tannen, das anders ist als das Grün von Fichten, hat Jo gedacht. Seitdem er wieder an Land ist, interessiert er sich für Natur, für Bäume. Das wird sich geben. Karatsch hat neben ihm gesessen, Friedrich Wünsche hinten. Als sie kurz vor der Auffahrt zur A1 am stillgelegten Autokino vorbeikamen, haben sie alle drei zum riesigen Parkplatz mit den Grasnarben zwischen Hunderten von Stellplätzen geschaut. Da wo einmal die Leinwand gestanden hatte, leuchtete moosgrün der alte Gaskessel.
    Die Autofähre von Calais nach Dover haben sie kurz vor Mitternacht genommen. Eine ungarische Familie, die mit ihnen an Bord kam, hat mit Schlafsäcken sogleich ihr Lager unter den Bistrotischen aufgeschlagen, und er, Jo, hat die vier Stunden Überfahrt auf zwei zusammengeschobenen Sesseln gehangen, mit einer nächsten Dose Bier in der Hand. Was Karatsch und Wünsche gemacht haben, weiß er nicht. Als sie anlegten, war es noch dunkel.
    Der Mann im Türrahmen schaut auf den silbernen Volvo, den Jo am Straßenrand der Bancroft Road geparkt hat.
    Kann es sein, dass ich weiß, warum Sie hier sind? Sie kommen wegen Salomé aus Deutschland angefahren, richtig?
    Salomé hat er gesagt, als sei das wirklich ihr Name. Warum hat Mutter das gemacht? Abzuhauen ist ja in Ordnung. Menschen verschwinden, wenn sie nicht mehr wissen, wohin sie gehören. Aber warum dieser andere Name?
    Bitte, kommen Sie doch rein, wiederholt der Mann im Türrahmen der Bancroft Road Nummer 101, allerdings ist sie gestern abgereist.
    Nein, sagt Karatsch, wer?
    Salomé.
    Alle drei schlucken. Keiner berichtigt ihn.
    Wohin?, fragt Friedrich Wünsche nach kurzem, angestrengtem Schweigen.
    Nach Hause, wohin sonst.
    Kennedy gibt die Tür frei. Als er lächelt, verschwindet die grobe Melancholie aus seinem Gesicht. Wünsche und Karatsch folgen ihm. Die Tür bleibt angelehnt. Jo steht allein draußen. Was Mutter jetzt wohl macht?
    Einen Schlüssel zum Haus auf halbem Hang hat sie nicht mehr. Er auch nicht.
    Er schaut sich auf der Straße um. Was für ein schöner Septembermorgen. Er mag den Herbst. Mutter auch. Herbst hat nicht dieses Zuviel wie Sommer und Winter, hat sie einmal gesagt. Bald werden die Blätter an den Bäumen bunt sein und so herbstlich, wie das Licht jetzt schon ist. Sie werden fallen wie in jedem Jahr und dabei den Klang von Regen haben. Auch hier, in der Bancroft Road. Nebenan im Vorgarten von Hausnummer 103 steht ein dicklicher Pakistani in der Morgensonne und wirft Fischfutter in einen vergitterten Teich, der wie ein Zugang zur Kanalisation aussieht. Als er hochschaut, hat er nicht wegen der Augen, sondern wegen des Blicks Ähnlichkeit mit Jamie, dem Jungen aus Burma, der mit Jo auf der Hiroshima gefahren ist. Jo geht ins Haus. Hinter der Tür steht ein Paar hochhackiger türkiser Sandalen mit Blumenbukett in Veras Größe, das aber nicht zu ihr passt. Es steht zwischen den viel größeren Schuhen von Kennedy und wartet auf eine Vera, die Jo noch nicht kennt. Aber was hat er eigentlich erwartet? Dass nicht ein Mann, sondern Mutter die Tür öffnet und gleich sagt, ja, sie fährt mit zurück, oder nein, sie hat den Bungalow, halbe Hanglage, für immer verlassen.
    Als er in Kennedys Küche kommt, lehnen drei Männer nebeneinander an der Spülzeile und schauen ihm entgegen, als wollten sie anfangen zu singen, sobald er nur die Hand hebt. Alle drei haben die Arme übereinandergeschlagen. Bei Kennedy sieht es aus, als müsse er an einen komischen Film denken. Bei Friedrich Wünsche sehen die verschränkten Arme wie Aufmerksamkeit aus und bei Karatsch so, als seien sie zu kurz für seinen Leib.
    Meine Frau, wiederholt er immer wieder, meine Frau. Neben ihm steht ein Vogelkäfig, zugedeckt mit einem karierten Küchentuch.
    Stopp, sagt Kennedy, stopp, und lächelt. Damit hier keine Missverständnisse aufkommen, wir waren kein Paar. Sie hat mich sogar geschlagen.
    Wieder ist mit der Wärme, die ihm mit dem Lächeln ins Gesicht gestiegen ist, dieser gewisse Zug von Verwahrlosung oder Vernachlässigung von seinen scharfen Zügen verschwunden.
    Ich habe Salomé die Wohnung gelassen, solange ich da unten war. Dann bin

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