Würde - Roman
Verwunderung und manchmal auch zu seinem Bedauern war er Amanda die ganze Zeit über treu geblieben, wenn man von einer kleinen Episode einmal absah.
Diese Affäre war gänzlich unspektakulär verlaufen und ernüchternderweise ohne jeglichen Anflug von Geheimnis ausgekommen. Das Ganze war mit einer Schreibkraft auf Zeit passiert, die Selwyn eingestellt hatte, als sich seine Sekretärin in den Flitterwochen befand. Ausgelassen wie ein Golden Retriever war die Frau am ersten Tag in der Kanzlei erschienen, ein wenig schlaff und untrainiert unter einer wilden Haarmähne, mit zahlreichen Armreifen und großen Ohrringen. Richard hatte mitten in einem anstrengenden Betrugsfall gesteckt und sie kaum bemerkt, bis wenige Wochen nach ihrer Ankunft eine Kanzleiparty stattfand.
Die neue Sekretärin trank zu viel und tanzte ausgelassen mit sämtlichen anwesenden Männern, ehe sie am späten Abend ihren leicht verschleierten Blick auf Richard richtete, der bereits mehr als eine halbe Flasche Whisky intus hatte. Als sie ihn am Handgelenk berührte und etwas Anzügliches in sein Ohr flüsterte, nahm er sie zum ersten Mal wahr. Der kurz darauf folgende Sex war atemlos und in weniger als einer Minute vorbei. Er hatte sie auf den Tisch in einem der Besprechungszimmer geschubst und sich betrunken auf sie geworfen. Es hatte sich angefühlt, als wäre er in warme Milch getaucht. Ihr Atem, der nach Alkohol roch, war ihm heiß und unangenehm ins Gesicht geschlagen, während er ihr Höschen heruntergezogen und sich aus seiner Hose gewunden hatte. Ihre feuchte Seidenstrumpfhose fühlte sich klebrig an. Er ließ sich ungehemmt gehen, stöhnte benommen auf und kam innerhalb nur weniger Sekunden.
Eine Woche später hatte sie die Firma wieder verlassen, ohne dass einer der beiden den Abend noch einmal erwähnt hätte. Die Begegnung war so völlig ohne Wärme verlaufen, dass Richard sich nicht einmal schuldig fühlte. Das Ganze kam ihm kaum bedeutsamer vor, als wenn er zu Hause noch rasch masturbierte, ehe er in die Kanzlei fuhr.
Manchmal fragte er sich, ob seine Treue Amanda gegenüber vielleicht weniger mit seiner moralischen Integrität als vielmehr mit seiner Angst vor Ablehnung zu tun hatte. Oder mit der Sorge, dass ihn seine Manneskraft im entscheidenden Moment im Stich lassen könnte. Die Furcht vor Impotenz lauerte ständig in seinem Bewusstsein. Wie andere Männer litt auch er, wenn ihm Erschöpfung und Stress den Willen und die Konzentration raubten, unter Phasen schwacher Darbietungen. Jedes einzelne Versagen fühlte sich wie ein Hinterhalt, wie eine absichtliche Aushöhlung seiner Libido an - ganz gleich, wie selten
es vorkommen mochte oder wie zuverlässig abrufbar seine Leistungen im Bett sonst waren. Selbst seine Phantasien wurden immer wieder von Bildern seines Versagens und von Spott und Ablehnung durchzogen. Es bedrückte ihn, wenn er sich Affären ausmalte, für die er seine Ehe aufs Spiel setzte, nur um sich dann in seiner Vorstellung als unfähig herauszustellen, sich selbst oder das Objekt seiner Begierde zu befriedigen.
Sex mit Amanda bedeutete keine Herausforderung mehr. Sie wählten fast immer bequeme Positionen, reduzierten das Vorspiel auf ein Minimum und durchliefen dann nahtlos die Stadien der Erregung, des Höhepunkts und des darauf folgenden Lesens. Er hatte versucht, mit ihr darüber zu sprechen, war jedoch gescheitert, als er ihr seine Bedürfnisse erklären wollte. Er hatte ihr deutlich angesehen, dass sie ihn innerlich als »Perversling« aburteilte, während sie ihm stirnrunzelnd zugehört hatte.
Wenn ihn seine Bemühungen im Bett im Stich ließen, gab sich Amanda immer sachlich. »Stress im Büro?«, fragte sie, ehe sie sich wegdrehte, um nach ihrem neuesten Schmöker zu greifen. Die Tatsache, dass sie so schnell bereit war, sein Versagen zu akzeptieren, hatte etwas Verächtliches an sich. Die Gelassenheit, mit der sie sich abwandte, ließ vermuten, dass sie eigentlich nichts anderes erwartet hatte. Oder dass es ihr im Grunde egal war. Große Vertrautheit machte Sex zu einer ähnlich lästigen Aufgabe wie Geschirrspülen; wenn man sie nicht erledigen musste, gab es keinen Anlass zur Klage.
Richard sehnte sich nach der körperlichen und emotionalen Aufregung ihrer ersten gemeinsamen Jahre. Amanda war die erste Frau gewesen, mit der er eine ernsthafte Beziehung eingegangen war. Vor ihr hatte es nur einige unbeholfene Versuche mit Mädchen gegeben, die bereits nach wenigen Wochen oder manchmal auch Tagen
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