Würde - Roman
mit tränenreichen Umarmungen und dem hohlen Versprechen ewiger Freundschaft beendet wurden.
Seine Freundinnen waren meist deutlich jünger als er gewesen und hatten sich von seinem Intellekt und seinem draufgängerischen Aussehen betören lassen. Ihre kichernde Bewunderung hatte ihn bald gelangweilt.
Auf die selbstbewusste Persönlichkeit Amandas war er nicht vorbereitet gewesen. Sie hatte ihn auf einem studentischen Gremiumstreffen offen kritisiert und ihre Vorbehalte hinsichtlich seiner Ansichten geäußert, ohne ihn jedoch persönlich verletzen zu wollen. Richard flößte sie sofort Angst ein. Gleichzeitig war er von ihr fasziniert. Seine witzigen Erwiderungen und sein charmantes Augenzwinkern blieben von ihr unbemerkt, wohingegen ihre erschreckend klaren Argumente seine Stellung vor dem ganzen Studentenkomitee in Frage stellten.
Nach dem Treffen hatte er zugesehen, wie sie ihre Papiere weggeräumt hatte. Obwohl lässige Schlampigkeit unter Studenten als Tugend galt, hatte sie ihr frisch gewaschenes blondes Haar gebürstet, so dass es ihr schimmernd in den Nacken fiel. Er bemerkte ihre schlanken Finger mit den exakt gefeilten Nägeln, die sie sich durchsichtig lackierte. Als sie mit ihm debattiert hatte, waren ihre Augen hart und entschlossen, ihre Gesichtsmuskeln angespannt gewesen. Doch als sie jetzt aufblickte und sah, dass er sie beobachtete, lächelte sie. Ohne zu zögern, kam sie durch den Raum auf ihn zu, streckte ihm die Hand entgegen und sagte: »Amanda Greeves. Warum kehrst du nicht die Scherben deines Egos zusammen, und ich lade dich auf einen Wein ein?«
Es war diese kantige Direktheit, die ihn sowohl angezogen als auch anfangs immer wieder hatte leiden lassen. Sie gab sich nie geschlagen und ließ ihm keine seiner unbedachten Bemerkungen unkommentiert durchgehen. Amanda forderte von ihm Ehrlichkeit auf eine Weise, die ihn erschreckte und beeindruckte. Er hatte die ersten Jahre an der Universität überstanden,
indem er sich vage ausdrückte und Klarheit durch Charme zu ersetzen versuchte. Amanda verlangte Rationalität und Offenheit - Tugenden, denen er nur schwer Folge zu leisten vermochte.
Ihre körperliche Beziehung besaß etwas ähnlich Forderndes. Sie benannte ihre Bedürfnisse klar und deutlich. Oft erklärte sie, worauf sie Lust hatte oder was sie gern ausprobieren würde. Von ihm erwartete sie ähnlich abenteuerlustige Vorschläge. Manchmal kam sie abends griesgrämig und müde nach Hause, riss sich die Kleider vom Leib und legte sich mit den Worten aufs Bett: »Fick mich einfach, okay?«
An anderen Tagen schlich sie sich in der Mensa leise von hinten an ihn heran, kniff ihn in den Po und flüsterte etwas Verruchtes in sein Ohr, ehe sie auf der Suche nach etwas zu essen weiterwanderte, als ob nichts gewesen wäre. Richard blieb erregt und mit roten Wangen zurück.
Er fragte sich, ob die Geburt ihres gemeinsamen Kindes der Wendepunkt in ihrer Beziehung gewesen war. Die Schwangerschaft hindurch hatten sie sich noch voller Elan geliebt. Der Anblick ihres glatten, geschwollenen Bauches und die steil abfallende Linie zu ihrem Schamhaar hatte ihn unglaublich erregt. Dass sie sich im letzten Monat zurückhalten mussten, hatte den Sex nur noch leidenschaftlicher und explosiver gemacht.
Doch als ihre Tochter Raine geboren wurde, überwältigte ihn die Verantwortung und die Reife, die von ihm in seiner neuen Rolle als Vater verlangt wurden. Hemmungsloser Sex schien zu Eltern nicht zu passen. Außerdem wurde ihm, als der schleimige kleine Körper aus Amanda herausgezogen wurde, schlagartig bewusst, dass die Schwellung, der Grund der sinnlichen Nähe zwischen ihnen, nun ein eigenes Wesen geworden war - etwas, das zu ihnen beiden gehörte, aber nicht länger Teil von ihnen war. Er beobachtete, wie seine Frau ihre gemeinsame Tochter
mit liebevollen Blicken bedachte, mit Augen voller Bewunderung und Zuneigung, und er wusste, dass sich seine Welt für immer verändert hatte. Er machte dem Kind keine Vorwürfe. Aber er spürte, dass etwas verloren gegangen war, was er nur kurz besessen hatte und was jetzt für immer außer Reichweite gerückt war.
Nun bedienten sie sich für ihr Gefühlsleben aus einem inneren Fundus an abgedroschenen Phrasen, wo sie jederzeit nach den passenden Formulierungen fischen konnten. Manchmal kam Richard das Ganze wie das Verbinden von Zahlenpunkten in einem Kindermalbuch vor: Das eigentliche Bild war sofort erkennbar, und dennoch fügte er gehorsam eine Linie nach der
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