Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Würde - Roman

Titel: Würde - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
Vom Netzwerk:
anderen hinzu, bis die vorgefertigte Kreation eines fremden Künstlers schließlich vollendet war.
    Vor einiger Zeit hatte Amanda darauf bestanden, zwei reinrassige Labradorwelpen anzuschaffen, da sie noch etwas brauchte, um ihre mütterlichen Instinkte auszuleben. Sie zeigte ein Ausmaß an Zuneigung und Besorgnis für die Hunde, das Richard geradezu wütend machte. Sie küsste die Tiere seitlich auf ihre Mäuler und schob ihre Lefzen beiseite, um das rosa Zahnfleisch zu entblößen. Amandas an sich kühles Wesen schmolz zu kleinen Schmatzlauten, wenn die Hunde die Schnauzen in ihren Schoß drückten und dabei wie verrückt mit den Schwänzen wedelten. Im Wohnzimmer und im Schlafzimmer nahmen die Tiere einen Ehrenplatz ein, blickten verletzt zu Richard auf, wenn er sie verscheuchte, und hinterließen überall eine Spur seidenweicher Haare.
    Richard bog vom Highway ab und fuhr eine von lichtem Schatten durchzogene Straße entlang auf die eindrucksvollen Tore einer abgesicherten Wohnanlage zu. In großen Messinglettern war auf einer weißen Säule der Name »Vineyard Heights« zu lesen. Die rot-weiße Sperrschranke war heruntergelassen. Er
hielt an, und ein Sicherheitsbeamter mit einem Klemmbrett in der Hand trat eilfertig aus seinem kleinen Häuschen.
    »Guten Abend, Mr Calloway - Sir«, begrüßte er ihn höflich.
    Da sich Richard nicht an den Namen des Mannes erinnern konnte, nickte er nur schweigend. Die Schranke ging hoch, und er fuhr auf die gepflegte Anlage. Auf der einen Seite der schmalen Straße, die durch das Anwesen führte, verliefen junge Chenin-Blanc-Reben in fein säuberlich angelegten Reihen. Die andere Seite wurde von gewaltigen europäischen Eichen, deren knorrige Wurzeln sich in den Boden krallten, in milde Schatten getaucht. Zwischen den Baumstämmen konnte Richard die Wasserfontäne in der Mitte eines angelegten Sees erkennen, die wie Regen auf die Oberfläche herabrieselte. Ein Schwan watschelte unbeholfen das Ufer hinunter und rutschte, mit der Brust zuerst, ins Wasser, wo er eine Schar kleiner, empört quakender Wildenten verjagte. Der Interessenverband der Eigentümer hatte es für passend gehalten, auch Pfauen auf dem Anwesen anzusiedeln, und so verbrachten die männlichen Tiere jetzt ihre Zeit damit, eindrucksvolle Räder zu schlagen, die örtlich ansässigen, herumstolzierenden Hagedaschs zu verjagen sowie die Pfauenweibchen und ihre Nester mit zurückhaltendem Interesse zu mustern.
    Als Richard und Amanda die Wohnanlage zum ersten Mal begutachtet hatten, war ihnen die vorgegaukelte ländliche Zurückgezogenheit kurios und doch irgendwie malerisch vorgekommen. Das Anwesen bot eine Umgebung, in der ein Kind die Natur in einer fein abgezäunten und gezähmten Form gefahrlos kennenlernen konnte. Aber die einheitliche Architektur und die geschmackvolle Farbgebung hatten mit der Zeit eine immer klaustrophobischere Wirkung auf Richard. Das Gefühl, sich in einem künstlichen und irgendwie deplatzierten Ort aufzuhalten, hatte mit den Jahren zugenommen, und inzwischen wirkte das
Anwesen auf ihn nicht anders als die westlichen Wohnanlagen, die er in Riad und Islamabad gesehen hatte - eine Bastion aus etablierten Vertrautheiten, deren Aufgabe es war, die Welt jenseits der Sandsäcke und Zäune auszugrenzen.
    Er parkte neben Amandas X 3 . Jemand hatte das Gartentor offen gelassen, und die beiden Labradore sprangen beim Geräusch seines Autos ausgelassen herbei. Er riss die Tür auf und rief laut, um sie zu verscheuchen, ehe sie den Lack zerkratzten. Die Hunde drehten sich um und flüchteten mit eingezogenem Schwanz ins Haus zurück. Amanda bedachte ihn mit einem vorwurfsvollen Blick, als er den gepflasterten Weg hochkam.

4
    Das immer wieder aufblitzende Licht des Stroboskops ließ die Bewegungen der Tänzerin ruckartig und abgehackt wirken - wie die einer Puppe, die man an einem Schießstand aufgehängt hatte, das Opfer eines grausamen Scherzes. Sie schien ihre schlanken Arme hin- und herzureißen, während ihr Kopf von einer Seite zur anderen flog. Mit großen Schritten kam sie auf das Publikum zu, wobei sie der ununterbrochene Wechsel zwischen Licht und Schatten seltsam bedrohlich und unberechenbar machte.
    Als sie am Rand des improvisierten Catwalks stand, ragte sie gespenstisch über das Publikum hinaus. Der exakt aufgetragene Kajalstift ließ ihre großen Augen stilisiert und androgyn wirken. Ihre Lippen waren in einem schillernden Rot geschminkt. Die vordere Reihe der Männer sah mit erstarrtem

Weitere Kostenlose Bücher