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Würde - Roman

Titel: Würde - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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zu recherchieren. Zwischen den Bücherregalen hingen große Schwarzweißfotografien der De Waterkant aus dem neunzehnten Jahrhundert. Aufnahmen der Coffee Lane und der Loader Street zeigten malaiische Frauen, die auf dem Kopfsteinpflaster der schmalen Straßen saßen, umrahmt von der widersprüchlichen Mischung aus malaiischer und georgianischer Architektur.
    Richards Lieblingsaufnahme war die der Ohlsson’s Brauerei und der Kneipe The Bricklayers Arms in der Waterkant Street, die aus dem frühen zwanzigsten Jahrhundert stammte. Der Fotograf hatte eine kleine Gruppe Männer aufgenommen, die sich in der Nähe des Kneipeneingangs herumdrückten und
offenbar hofften, dass jemand sie auf ein Bier einladen würde. Es war das Festhalten eines zufälligen Moments, der Schnappschuss von Menschen, deren Geschichte ansonsten unbekannt geblieben wäre. Richard machte es Spaß, sich vorzustellen, wer diese Männer gewesen waren und was sie vielleicht zueinander gesagt hatten. Hätte der Fotograf einen anderen Moment gewählt, wäre die kleine Gruppe durstiger Männer vielleicht niemals wahrgenommen oder festgehalten worden.
     
    Mittags verließ er die Kanzlei und bestellte sich in einem Café um die Ecke ein Schinken-Käse-Sandwich. Als er wieder an seinem Schreibtisch saß, das halb gegessene Sandwich in der Hand, das Wachspapier vor ihm ausgebreitet, überlegte er sich einen Moment lang, ob jetzt vielleicht die Zeit gekommen war, das Memo seines Kollegen zu lesen. Zögernd streckte er die freie Hand aus, um danach zu greifen, als sein Handy zu vibrieren begann. Er nahm es, lehnte sich auf dem Stuhl zurück und warf einen Blick auf das Display. Der Anrufer hielt seine Nummer unterdrückt.
    »Richard Calloway«, antwortete er mit tiefer, gediegener Stimme.
    »Sie klingen sehr ernst, Mr Calloway.«
    Er wusste sofort, dass ihm der sinnliche Tonfall der Stimme vertraut war. Die schelmische Bemerkung passte so gar nicht zu der formellen Steifheit seines Büros, wenngleich ihm auffiel, dass auch die Sprecherin nicht ganz unbeschwert klang. Überrascht legte er das Sandwich auf den Schreibtisch und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund.
    »Abayomi?« Nervös stand er auf und begann vor den Fenstern hin- und herzulaufen, als ob er erwartete, sie unten im Hof entdecken zu können. »Entschuldigung. Bist du das?«
    Er hatte das Gefühl, in seinem Inneren würde eine Quelle zu
sprudeln beginnen, ein Druck, der von seiner Leistengegend nach oben presste. Er drückte die Stirn an die kühle Scheibe.
    »Ja«, bestätigte die Stimme. »Entschuldige die Störung, Richard. Ich weiß, dass du ein beschäftigter Mann bist. Aber du hast gesagt, ich könnte dich anrufen, wenn ich Probleme hätte. Und wie es der Zufall so will … Es gibt tatsächlich etwas, worüber ich gern mit dir sprechen würde.« Ihr Tonfall klang locker, aber er konnte deutlich ihre Anspannung spüren.
    Der Gedanke, sie wiederzusehen, erfüllte ihn mit einer schwindelerregenden Mischung aus Vorfreude und Nervosität. Die Tatsache, dass sie ihn einfach auf seinem Handy anrief und damit von einer abgegrenzten Welt in die andere eindrang, beunruhigte und beglückte ihn zugleich. Ihre Stimme in seinem Ohr zerschlug die Ruhe in seinem Büro und seine Hoffnung, hier Schutz gefunden zu haben. Diese widersprüchlichen Empfindungen verwirrten ihn, und instinktiv begann er, nach einer Ausrede zu suchen. »Ich … Ich kann nicht … Es ist nicht so …«
    »Verzeih mir, Richard«, unterbrach ihn Abayomi. »Wenn ich zu einem schlechten Zeitpunkt angerufen habe, dann versuche ich es lieber ein andermal wieder.«
    Sie antwortete geradeheraus, ohne beleidigt zu wirken. Es hatte etwas Erfrischendes, mit jemandem zu tun zu haben, der nichts vorgab, sondern einfach ehrlich war. Für Abayomi schien es keine Täuschung und kein Taktieren zu geben, ebenso wenig wie unvorhergesehene Gefühle oder falsche Hoffnungen. Er war ihr Kunde, ein privilegierter Mann, der ihr seine Hilfe angeboten hatte.
    Für ihn hingegen war dieses Gespräch mit ihr verwirrend. Er sehnte sich nach Einfachheit. Getrennte Räume für getrennte Leben. Und doch befand sie sich jetzt am anderen Ende der Leitung.
    »Nein, nein. Kein Problem. Ich helfe dir gern, wenn ich
kann.« Richard bemühte sich, seine Anspannung nicht durchklingen zu lassen. »Wann sollen wir uns treffen? Bei mir würde morgen Vormittag gut gehen. Im Coffee-Shop in der Waterkant Street … Milo’s … Wäre das in Ordnung? Um zehn?« Die Worte

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