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Wuestenmond

Wuestenmond

Titel: Wuestenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Reiseunternehmen vor, das uns gehört.
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    Fünfundzwanzig Prozent der Tuareg könnten vom Tourismus leben.
    Stell dir vor, man könnte den Süden mit Direktflügen erreichen. Stell dir vor, die UNESCO würde alle Felsmalereien schützen. Stell dir vor, sie gewinnen soviel an Wert wie die Hügel von Rom oder die Schlösser an der Loire. Stell dir vor, ich wäre kein gefährlicher Agitator mehr, kein Spion der CIA, der Geheimdienste Oberst Ghaddafis. Stell dir vor, man vergäbe mir die Sünden meines Vaters und ich könnte bei der hiesigen Verwaltung mitmischen. Ich würde meine Nase in alles stecken, die Betonbauten verbieten, die Traditionen der Handwerker fördern. Ich würde veranlassen, daß man an den richtigen Stellen kleine Deiche baut, die das Regenwasser speichern. Die Wüste soll wieder grünen, das Vordringen der Dünen durch Vegetationsgürtel aufgehalten werden.
    Karawanen könnten den Lastwagenverkehr ablösen, vielen Leuten Arbeit geben. Kamele haben keine Reifen, die mitten auf dem Tademait in Fetzen fliegen. Sie brauchen keinen Ölwechsel, sie stinken auch nicht nach Abgasen. Ja, und in unseren Schulen würde jedes Kind unsere Sprache lernen, unsere Dichtkunst, unsere Geschichte. Und Englisch und Französisch und Arabisch als Wahlfächer. Und auch, wie man mit einem Computer umgeht und ein Faxgerät bedient. Wir leben nicht mehr im Mittelalter, glaube das ja nicht. Das neue Jahrhundert ist unser Jahrhundert, wie alle Jahrhunderte zuvor. Wir wurden in der Wüste geboren, wo der Wind ungehindert weht und wo nichts das Licht der Sonne bricht. Unser Leben ist keine Digitaluhr, verdammt, auch wenn wir sie am Handgelenk tragen! Unser Leben ist ein freier Gesang, ein Wunder, ein Wasserfall, der bis zur Unendlichkeit vordringt. Stell dir das mal vor!«
    Ich hob die Hand und streichelte sein Gesicht, das ich so liebte.
    »Ich sehe das alles gut vor mir, Elias. Was du machen willst, ist gar nicht kompliziert.«
    »Nicht im geringsten«, sagte er. »Und wir haben ein Sprichwort.«
    Ich umfaßte seine Knie.
    »Hast du noch viele?«
    »Immer wieder ein neues. Dieses lautet: ›Wenn du am Verdursten bist, schlachte dein Kamel und trink das Wasser aus seinem Magen.
    Und dann krieche in den Bauch des Kamels und warte.‹«
    »Das hat, meine ich, mit deinem Traum zu tun.«
    »Das meine ich auch«, sagte er, und wir lachten.
    Wir rasteten eine Weile, machten uns dann auf den Weg, ritten durch 280
    die weißen, sandgefüllten Windungen der Hochebene. Die Sonne brannte, der Himmel verfärbte sich gelblich. Kein Laut war zu hören, nur der leise Wind, die Atemzüge der Kamele und das gedämpfte Knirschen ihrer Sohlen im Sand. Einmal streckte Elias die Hand aus; ich folgte seinem Blick, sah in der Ferne einige Punkte, die sich bewegten.
    »Gazellen!«
    Die Gazellen schienen in der Luft zu schweben; sie berührten den Boden nur, um sich mit federndem Sprung sofort wieder zu lösen.
    Sie wurden immer kleiner, bis sie sich im Blau der Luftspiegelung verloren. Elias wandte mir sein verschleiertes Gesicht zu.
    »Als ich Kind war, gab es noch große Gazellenherden. Sowohl französische Legionäre als auch reguläre Truppen hatten sich einen Sport daraus gemacht, diese Tiere ohne Kugel, ohne Gewehr zu erlegen.«
    Ich blickte ihn an, und er sprach weiter.
    »Sie fuhren den Gazellen mit den Jeeps nach, jagten sie in wilder Querfeldeinfahrt, bis ihr Herz versagte. Wir – die Tuareg – liebten die Gazellen. Wir sprachen zu ihnen. Wir jagten sie auch manchmal, mit Pfeil und Bogen. Es war ein faires Jagen. Gazellen kommen oft in unseren Liedern vor.
    ›Er soll meine Tränen nicht sehen
    nicht wissen soll er,
    wie sehr ich ihn liebe
    Ich warte.
    Auch wenn ich erzittere
    wie eine junge Gazelle,
    wenn der Imzad
    meinen Händen entgleitet…‹
    Von den Gazellen sind kaum noch welche übrig. Man hat sie ausgerottet. Der Geist der Wüste zieht sich von den Menschen zurück. Aber manchmal will mir scheinen, daß er noch da ist.«
    »Vielleicht können wir ihn zurückholen«, sagte ich.
    Ich mußte die Erinnerung mit der Wirklichkeit kombinieren; mußte sie mit den Augen eines Menschen sehen, der sich von der Wirklichkeit leiten, sich aber von Träumen davontreiben läßt.
    Irgendwie mußte ich mit diesem Widerspruch fertig werden.
    Später ging die Sonne unter; ein purpurnes Aufleuchten zog ein 281
    tiefes Violett nach sich, das in grünlichem Schimmer versank. Von der Erde war alles Helle gewichen; das unermeßliche All, ohne Anfang,

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