Wuestenmond
dürres Gras darüber. Mit einem Streichholz entzündete er das Gras, legte etwas Astwerk nach, und nach kurzer Zeit schlugen kleine Flammen empor. Es war plötzlich sehr kalt geworden. Wir spürten die Kälte auf unseren Gesichtern und merkten, daß wir müde waren. Wir saßen dicht beisammen, im Kreis um die Glut, und kochten Suppe mit Reis. Der Topf hing an einem kleinen eisernen Dreibein über der Feuerstelle.
Trotz der Dunkelheit war der Sand von einem stillen Leuchten erfüllt, er stach in goldgelbem Farbton von der Schwärze der Nacht ab.
»Findet ihr das nicht erstaunlich schön hier?« fragte Enrique begeistert. »Die Wüste ist doch prachtvoll. Habt ihr bemerkt, wie sich die Farben verändern? Wunderbar!«
»Ich glaube, du findest die falschen Dinge schön«, antwortete Serge gedehnt. »Es gefällt dir jetzt, aber wir werden schon längst vorher wieder abreisen.«
»Vor was?« fragte Enrique.
»Bevor du die Schnauze voll hast«, sagte Serge.
Wir lachten, und Rocco meinte:
»Mir ist es eigentlich egal, wo ich bin. Mein Interesse kommt nach und nach, oder auch überhaupt nicht.«
»Ich bin enttäuscht von dir«, seufzte ich. »Aus dir wird doch nie etwas werden.«
Danach sprachen wir über den Drang, der Touristen in Scharen in die Wüste trieb, und Thuy hielt eine Moralpredigt:
»In Vietnam ist alles anders, aber jetzt bin ich Französin und habe 100
den Preis dafür bezahlt. Europa hat zuviel Geld, zuviel Freizeit. Wir sind vollgestopft mit Vitaminen und Hormonen, und allmählich sinkt unser Selbstwert. Deswegen reisen wir in Krisengebiete, essen uns mit Anstand durch exotische Gerichte, sehnen uns nach Nervenkitzel
– aber alles schön im Rahmen natürlich. Wir wollen weder entführt noch zusammengeschossen werden. In der Wüste fühlen wir uns zumeist recht kümmerlich. Vielleicht es es das, was wir brauchen.«
Später lag ich in meinem Schlafsack, blickte in den Himmel mit seinen unzähligen funkelnden Sternen. Es war mir zumute, als fiele ich in die Sternennacht wie ein Meteor in den Weltraum, von einer Welt in die andere. Der Sand unter meinem Körper bildete eine weiche, bequeme Mulde. Ich lag ganz still, mein Herz schlug langsam und schwer. Der Wind, der über mein Gesicht strich, war eiskalt. Eine dumme Redensart fiel mir ein: »Die Wüste ist ein heißes Land, in dem es sehr kalt ist.« Ich lachte still vor mich hin, und dann ganz plötzlich schlief ich ein.
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11. Kapitel
A ls ich erwachte, war mein Gesicht feucht vor Kälte. Sträucher hoben sich wie Scherenschnitte vor dem durchscheinenden Himmel ab; Vögel sangen im Schilf. Am Horizont schwamm die Sonne, einer silberschimmernden Perle gleich. Adil hatte seine Decken schon zusammengerollt. Er kauerte vor dem Feuer, legte Astwerk nach, um die Glut neu zu entfachen. Der rote Schein des Feuers leuchtete in der Dämmerung. Wir standen mühsam auf, machten einige Bewegungen, um die erstarrten Muskeln zu lockern, bevor wir die Schlafsäcke einrollten und festschnürten. Ich schüttelte beide Schuhe pflichtbewußt aus, fand keinen Skorpion und setzte mich mit dem Waschbeutel etwas abseits. Ich reinigte mein Gesicht vom Sandstaub, putzte mir die Zähne. Thuy kauerte neben mir im Sand und bemühte sich, ihr dichtes Haar mit dem Kamm zu entwirren. Sie trug eine Pyjamahose und trotz der Kälte nur ein ärmelloses T-Shirt.
Als wir zurück zum Feuer gingen, machte Enrique ein sorgenvolles Gesicht.
»Adil sagt, das Wetter ändert sich.«
Adil bestätigte es mit einem Kopfnicken.
»Oui, Madame. Ein Sandsturm zieht auf.«
Keiner war so leichtfertig, seine Worte zu bezweifeln; wir wußten aus früheren Erfahrungen, daß man Einheimischen vertrauen soll, wenn es darum geht, eine Situation zu beurteilen.
»Was hältst du davon?« fragte Enrique.
Adil dachte nach, während er Brot in Scheiben schnitt. Wir sahen ihm ungeduldig zu. Als er fertig war, sagte er:
»Vielleicht sollten wir lieber hier warten, Monsieur.«
»Zeitverlust!« brummte Rocco.
»Ich weiß nicht recht«, sagte ich.
Adil sah mich an und nickte mehrmals, als wolle er mit jeder Bewegung seines Kopfes bekräftigen, was er gesagt hatte. Die Felsen ringsum, meinte er, böten ausreichend Schutz. Wir schlürften mißmutig den heißen Kaffee aus der Thermosflasche und besprachen die Angelegenheit. Bis zum Udan würden wir noch etwa eine halbe Tagesreise brauchen. Wie lange konnte ein Sandsturm dauern? Adil gab ausführlich Auskunft: Manche Sandstürme ließen innerhalb weniger
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