Wuestenmond
den Kopf.
Ich richtete ihn behutsam auf.
»Adil… hast du Schmerzen?«
Er gab keine Antwort, wiegte sich hin und her und wimmerte nur.
Inzwischen hatte der zweite Wagen dicht hinter uns gehalten.
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Enrique und Serge stolperten durch den Sand auf uns zu.
»Alles in Ordnung?«
»Keiner verletzt?«
Meine Schulter tat verdammt weh, aber zum Glück schien nichts gebrochen. Ich rang mühsam nach Luft.
»Ich glaube, Adil hat was abgekriegt.«
»Und sonst?«
»Festgefahren! Das ist eine Wanderdüne. Wir müssen da raus!«
Wanderdünen bilden sich im Sandsturm innerhalb weniger Minuten.
Wir zogen Adil behutsam aus dem Wagen, halfen ihm, sich abseits auf den Boden zu setzen. Er zitterte heftig. Sein Gesicht war schmerzverzerrt, und er stöhnte immer wieder: »Mein Kopf, mein Kopf!« Doch es war kein Tropfen Blut zu sehen. Thuy kam mit fliegenden Haaren angerannt und riß die Tür auf.
»Rückwärts fahren, verdammt! Hau ab, Rocco, laß mich das machen!«
Er überließ ihr kleinlaut das Steuer. Thuy legte den Rückwärtsgang ein. Der Motor heulte auf, die Reifen drehten im Leeren. Sie steckten schon bis zur Hälfte im Sand. Thuy fluchte, versuchte es wieder und wieder. Da das Wagengewicht hauptsächlich auf der Hinterachse lag, wäre ein Durchkommen mit der Vorderachse durchaus möglich gewesen, aber die Heckräder schafften es nicht mehr. Die Reifen gruben sich immer tiefer in den Sand ein. Schließlich stellte Thuy mit einer hilflosen Geste den Motor ab.
»Noch einmal! Gib Vollgas!« befahl ihr Rocco, der ganz genau wußte, daß Gasgeben jetzt das Verkehrteste war. Thuy wirbelte herum wie eine Katze und schrie ihn an. Es kam selten vor, daß sie die Stimme erhob. Ob er nicht alle beisammen hatte? Die Reifen, verdammt noch mal, sollten sie denn durch Überhitzung platzen?
Und nachdem er uns hier festgesetzt habe, solle Rocco, der Gescheiteste, dieser Esel, sich gefälligst auf die Socken machen und den Abschleppdienst holen. Rocco stand schuldbewußt und beleidigt da, ließ die Arme hängen und sagte keinen Ton. Es gab nichts zu sagen.
Inzwischen lag Adil zusammengekrümmt auf der Seite, stieß unartikulierte Laute aus, und seine Augäpfel bewegten sich unter den geschlossenen Lidern. Serge kniete hustend neben ihm. Im Laufe seines abwechslungsreichen Lebens hatte er eine Zeitlang als Krankenpfleger gearbeitet. Er untersuchte Adil mit geübten Griffen, tastete nach seinem Puls. Adil atmete flach, seine Haut fühlte sich 105
kalt und feucht an.
»Nun?« fragte ich.
»Eine Gehirnerschütterung«, sagte Serge. »Das haut jeden um. Und nach dem Unfall, den er hatte…«
Ich hielt mir wütend den schmerzenden Arm.
»Kannst du dich um ihn kümmern?«
Er nickte.
»Aber sicher, mach dir keine Sorgen.«
Und jetzt, was nun? Uns blieb nichts anderes übrig, als zur Schaufel zu greifen, sonst würde der Sand in kurzer Zeit zu meterhohen Kegeln anwachsen. Wir machten uns an die Arbeit; bald wußten wir nicht mehr, wohin mit dem vielen Sand, und der Wind blies immer wieder neuen heran. Nach einer halben Stunde setzte sich Thuy ans Steuer und drehte den Zündschlüssel, während wir uns mit vereinten Kräften gegen die Motorhaube stemmten. Der Motor heulte auf, die Reifen quietschten. Stöße warfen den Wagen vorwärts, dann rückwärts, doch vergeblich. Der Landrover rührte sich nicht von der Stelle. Thuy bangte um die Kupplung und stellte ihre Versuche ein.
»Hoffnungslos!«
Wir keuchten und hielten uns mit schmerzverzerrten Gesichtern die Seiten. Zwischen unseren Zähnen knirschten Sandkörner; in den Hautfalten der Fingergelenke stachen scharfkantige Sandteilchen wie mit tausend Nadeln, Haare und Augenbrauen waren weiß überpudert.
Durch die Turnschuhe spürten wir die Hitze des Bodens. Und wir konnten nichts machen.
Inzwischen gab uns Serge durch Zeichen zu verstehen, daß wir Adil in den Wagen legen sollten. Rocco und Enrique hoben den Verletzten hoch, schleppten ihn in den Landrover und legten ihn auf den Hintersitz. Weil Adil schwach und mit sichtlicher Anstrengung atmete, sorgte Serge dafür, daß sein Oberkörper höher lag, indem er ein paar Kleider unter seinen Kopf schob. Serge breitete eine Decke über ihn, ließ sich den Erste-Hilfe-Kasten geben. Er verabreichte Adil ein Schmerzmittel in Tropfenform, sagte ihm, daß er die Tropfen möglichst lange im Mund behalten sollte. Adil verschluckte sich, hustete. Immerhin schienen die Tropfen zu wirken, denn er entspannte sich; nur ein leises Ächzen
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