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Wuestenmond

Wuestenmond

Titel: Wuestenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Schlafmittel. Auf dem nahen Campingplatz war keine Ruhe, jemand hatte Musik in voller Lautstärke aufgedreht. Endlich schlief ich ein, doch nicht für lange: Um vier rief der Muezzin mit schnarrenden Kehllauten durch die Dämmerung; mit ihm erklang das erste, noch unsichere Zwitschern der Vögel. Irgendwo in der Nähe röhrte und ächzte ein scheinbar brünstiger Esel wie eine rostige Türangel. Der Tag brach an, der Bäcker war auch schon wach, es roch nach frischem Brot. An Schlaf war nicht mehr zu denken. Ich stand müde auf und stellte mich unter die Dusche.
    Adil Ben Yussef, der Fahrer, den uns die Agence Altour vermittelt hatte, war jung, hochgewachsen und mager.
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    Er hatte eine schöne, hohe Stirn, breite Wangenknochen und einen vollen Mund. Er sagte, er sei ein Kel Dinnik, ein Targui aus der Gegend von Djanet. Seine Hautfarbe verriet allerdings jede Menge schwarzer Vorfahren. Er erzählte uns, daß er früher Lastwagen von der algerischen Küste bis zum Senegal gefahren habe, daß es die Folgen eines Unfalls nun aber unmöglich für ihn machten, weiterhin größere Strecken zu fahren. Er schob seinen Schesch zurück, entblößte eine lange weiße Narbe auf dem kahlrasierten Kopf. Der Lastwagen, den er fuhr, hatte sich überschlagen. Ein Stück Metall hatte sich in seine Schädeldecke gebohrt.
    »Ich glaubte, ich sei tot«, sagte Adil. »Aber Allah hielt seine schützende Hand über mich. Ein Tubib – ein Arzt – zog den Splitter heraus.«
    Wir vereinbarten, uns am Steuer abzuwechseln. Serge und ich saßen neben Adil; Enrique, Thuy und Rocco folgten im zweiten Wagen.
    Trotz der frühen Stunde waren die Fernfahrer bereits unterwegs; die aufgehende Sonne blinkte auf den Windschutzscheiben der Lastwagen, die mit halsbrecherischer Geschwindigkeit über die Teerstraße donnerten. Wir fuhren eine Kette von Telegraphenstangen entlang, ließen die letzten Lehmbauten hinter uns, fuhren westwärts, in Richtung Ideles, an buckeligen Steinhügeln und dürrem Dünengras vorbei. Tamanrasset mit seinem Wasserturm verschwand hinter den Hügeln. An einigen Stellen war die Straße mit Steinen frisch aufgeschüttet worden. Wir hielten Abstand, damit die Staubfahne, die der erste Wagen aufwirbelte, die Sicht des folgenden Fahrers nicht behinderte. Wenn die Straße stieg, konnte unser Blick ungehindert über den grenzenlosen Raum gleiten; hell zogen sich die Adern ausgetrockneter Wadis – Wasserläufe – wie Handlinien dahin.
    Die Berge, lila und korallenrot in der Morgensonne, umfaßten die Ebene und wurden dann in der Ferne zu dünnen Linien, die das Auge kaum noch erkannte. Nach ungefähr einer Stunde verließ Adil die Straße in südlicher Richtung. Hier begann die »Wellblechpiste«, eine nicht asphaltierte Strecke, nur durch Markierungen gekennzeichnet.
    Wind und Temperaturschwankungen hatten den Sand steinhart gepreßt. Die wellenförmigen Rippen verliehen der Piste die Struktur eines Waschbretts oder eines quer gegen die Fahrtrichtung gepflügten Ackers. Befahren ließ sich das Gelände nur im Schrittempo oder – um die Stöße abzufangen – mit höchster Geschwindigkeit. Die hiesigen Fahrer hielten sich an die zweite Möglichkeit. Adil machte keine Ausnahme und gab Vollgas. Beide 97
    Wagen sprangen auf den hartgebackenen Rillen, wie Korken auf Wellen hüpfen. Dazu kamen die vielen Schlaglöcher, die unvermutet auftauchten. Die Wagen flogen darüber hinweg. Zum Glück waren die Reifen voll aufgepumpt, Stoßdämpfer zum Wechseln hatten wir auch dabei. Die Sonne blendete, die schlagenden Räder trommelten auf die Sandrippen, beide Wagen ratterten und dröhnten, als wollten sie in Stücke brechen. Der Himmel war perlgrau, das Gebirge farblos, die Erde ohne Schatten. Auf einmal streckte Adil die Hand aus.
    »Lager von Nomaden!«
    In einer flachen Mulde drängten sich einige Schilfhütten um ein Wasserloch. Ein paar Ziegen grasten, ein gefesseltes Mehari kniete im Sand, und ein verschleierter Mann grüßte mit verhaltener Geste.
    Die Sonne stieg, die glühende Steinwüste zitterte in der heißen Luft.
    Einige Male glaubte ich, in der Ferne die Umrisse einer Menschengestalt zu sehen, die aber beim Näherkommen immer kleiner wurde und sich schließlich als vereinzelter Stein auf der Piste entpuppte.
    Die Weite der Wüste, die grausame Helligkeit, hoben den Sinn für Entfernungen gänzlich auf. Jegliche Vergleichsmöglichkeit fehlte, das Auge fand nichts, woran es sich halten konnte. Auch am Horizont vollzog sich

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