Wuestenmond
Seltsames: Die glitzernde Fläche stieg auf, verschmolz mit dem Himmel. Felsen und Büsche schwammen im Dunst. Manchmal entstand ein See, wo kein See war, und zerplatzte vor unseren Augen wie eine Luftblase.
»Fata morganal« rief Adil fröhlich.
Allmählich veränderte sich die Landschaft; wir fuhren über eine Hochebene, die mal grau, mal gelb in der Hitze flimmerte. Das Blech des Wagens glühte. Nirgends ein Strauch oder ein Grashalm, überall nur nackter, verbrannter Boden. Ein totes Land, ohne eine Spur von Leben. Wir fuhren annähernd drei Stunden lang, bis die Hochebene an den Ausläufern der Höhenzüge endete. Es wurde Zeit, daß wir rasteten. An einer schattigen Stelle breiteten wir eine Decke aus, aßen Brot, Ölsardinen und wunderbar schmackhafte Datteln, die Thuy am gestrigen Tag auf dem Markt entdeckt hatte. Dazu tranken wir große Mengen des Wassers, das wir in einer Aluminiumkanne mitführten. In der Stille klangen unsere Stimmen merkwürdig hohl.
Aus den heißen Motoren stieg manchmal ein Zischen, sonst war alles ruhig. Kein Laut war zu hören. Nichts regte sich in der ungeheuren Weite, die im Licht zu zittern schien. Von Honore de Balzac stammt 98
der Spruch: »Die Wüste ist Gott ohne die Menschen.« Zum erstenmal hinterließen die Worte einen Widerhall in meinem Herzen.
Wir studierten die Karte; wir hatten beinahe zweihundert Kilometer hinter uns. Nicht übel, meinten wir, aber für Adil war das nichts Besonderes. Er schlug eine Abkürzung vor, um ein schlechtes Stück der Wellblechpiste zu meiden. Keiner hatte etwas dagegen, also fuhren wir los. Adil verließ die Piste, folgte den Windungen eines trockenen Wasserlaufs, erklomm im Zickzack einen sandigen Hang.
Die Wagen rumpelten und schaukelten, die Räder rutschten, aber der Boden wurde zusehends glatter; bald rollten die Wagen mühelos über freies Gelände. Adil fuhr schnell und vorsichtig, wie zielsicher er das tat, zeigte sich, als dann und wann an windgeschützten Stellen plötzlich schwache Radspuren sichtbar wurden: Sie bezeugten, daß die Strecke kundigen Fahrern vertraut war. Wir fuhren annähernd drei Stunden lang, während sich das Gesicht der Landschaft veränderte. Gestrandeten Schiffen gleich tauchten einsame Klippen zwischen hellen Sandbänken auf. In ihrer Vereinzelung nahmen diese Spuren vorgeschichtlicher Berge – Zeugenberge genannt – die merkwürdigsten Formen an: Steingewächse, Riesenpilze, Fabeltiere.
Eine Vielfalt chaotischer, unwirklicher Bildwerke, uralt und dennoch nie vollendet, dahindämmernd am Rande der Zeiten. Später, als die Schatten länger wurden, zerflossen alle Spiegelungen. Der Himmel leuchtete blau, sowie die Sonne sank. Auch der Sand färbte sich blau, die Sonne glich einem brennenden Busch. Dann zog sie sich zu einer klaren, purpurnen Kugel zusammen und tauchte hinter die Berge wie in den tiefen Schacht eines Brunnens. Unmittelbar danach brach die Nacht herein. Adil fuhr nun langsam und vorsichtig. Die Scheinwerfer beleuchteten Sträucher und Geröll.
»Wo führt er uns eigentlich hin?« fragte Enrique etwas nervös.
»Warte ab«, sagte ich zu ihm auf englisch, »er scheint zu wissen, was er tut.« Adil zwinkerte mir beruhigend zu, als hätte er die Worte verstanden.
»Da vorne ist eine Guelta – eine Quelle –, da finden wir alles, was wir brauchen.«
Es dauerte nicht mehr lange, und wir sahen Sträucher im Licht der Scheinwerfer. Mit einem schleifenden Geräusch streiften Zweige die Wagenfenster. Dann stieg der Boden leicht zu einer Felswand hin an, die sich pechschwarz vom Nachthimmel abhob. Adils Zähne blitzten in der Dunkelheit.
»Wir sind da.«
99
Wir stiegen aus und erklommen einen Hang, auf dem sich eine Art Mulde befand. Im Licht der Taschenlampen glänzte ein dünnes Rinnsal zwischen den Steinen. Die kleine Quelle, von gelbem Schilfrohr umwachsen, blubberte kaum hörbar, wie ein leise atmendes Lebewesen.
»Das Wasser ist gut«, sagte Adil. »Aber du mußt es abkochen, Madame. Sonst wird der Bauch kalt.«
»Er will sagen, man kriegt Durchfall«, meinte Serge heiter.
Rocco zündete sich eine Zigarette an, mit der Bemerkung: »Ein kalter Bauch ist nicht zum Lachen.«
Adil erwies sich nicht nur als guter Wüstenkenner, sondern auch als überaus praktischer Mensch; fünf Minuten später hatte er Wurzelholz gesammelt, drei Steine in der richtigen Größe gefunden.
Er legte die Steine so, daß sie ein Dreieck bildeten, häufte das Holz dazwischen und legte eine Handvoll
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