Wuestenmond
bestürzend, die Leichtigkeit und das Frohlocken in ihrem Lächeln zu sehen.
»Wir haben genug zu essen. Wir können es darauf ankommen lassen.
Das alles hier… ist nichts!«
Sie hob ihre feingliedrige Hand, und es war, als ob sie mit einer einzigen Bewegung das Haus mit seinen blinden Mauern, seiner Armut, seinem Staub in sich zusammenfallen lassen wollte. Und einen Atemzug lang schien es, als öffneten sich die Mauern, als drehte sich der Nachthimmel über unseren Köpfen und als flute das Licht der pulsierenden Sterne in die Finsternis.
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10. Kapitel
Z ara wollte, daß ich zum Essen bliebe, aber ich hielt es für besser zu gehen. Der Besuch hatte die alten Damen sichtlich erschöpft. Ich verabschiedete mich mit dem Versprechen, vor meiner Abreise wiederzukommen. Matali bestand darauf, mich zum Hotel zu begleiten. Ich widersprach nicht, es hätte nichts genützt, außerdem mochte er gute Gründe dafür haben. Es war dunkel draußen, die Straßen waren bevölkert von Soldaten in khakifarbenen Uniformen, aufgebläht von dem Gefühl ihrer eigenen Wichtigkeit, herausfordernd, gelangweilt und zu Streit aufgelegt. Afrikanische Kleinhändler boten ein buntes Durcheinander von Kuriositäten an.
Ich empfand sie mehr, als daß ich sie sah. Durch seine bloße Anwesenheit hielt Matali sie fern. Ein Löwe, dachte ich, der ein Rudel winselnder Schakale verscheucht. Gestalten von üblem Aussehen bewegten sich wie Schatten, lungerten in Gruppen herum.
»Hier ist jede Menge Rauschgift zu haben«, hatte mir Enrique beim Frühstück erzählt. »Der Stoff stammt aus Nigeria und aus Kamerun.
Man zahlt mit Dollar. Auch der Waffenschmuggel blüht, und der Frauenhandel, habe ich mir sagen lassen. Die Polizei stellt sich blind und profitiert vom Geschäft.«
Inzwischen gab mir Matali betuliche Ratschläge wie eine Kinderfrau: Ich sollte warme Sachen mitnehmen, nur abgekochtes Wasser trinken, jeden Morgen die Schuhe gut ausschütteln: Skorpione konnten in der Nacht hineinkriechen, auf der Suche nach Wärme. Seine kehlige Stimme verflocht sich mit dem Murmeln und Füßescharren, das bleierne Gewicht der Langeweile legte sich über mich. Ich erstickte ein Gähnen.
»Viele Menschen heute schlecht sein«, hörte ich Matali sagen.
»Gewehre haben. Du nicht immer alles glauben. Gut aufpassen.«
Olivias Zeit gab es nicht mehr, sie kam nie wieder. Elend, Angst und Gewalt waren allgegenwärtig. Gewiß war die Wüste kein sicherer Ort, Paris aber auch nicht. Die Sache ist die, Olivia, daß wir nicht die gleiche Sahara erleben.
»Tu ich, bestimmt«, versicherte ich Matali.
Vor dem Hotel, angestrahlt von den Scheinwerfern, sagte er plötzlich noch etwas:
»Wenn du morgen reisen, du bestimmt Elias begegnen.«
Elias? Der trieb sich in einem Umkreis von tausend Kilometern um 95
Tarn herum. Meine Aussicht, ihn zu treffen, war praktisch gleich null. Eigentlich schade, dachte ich, den mit seinem Querkopf hätte ich gerne kennengelernt.
»Wie kommst du darauf?« fragte ich Matali.
Sein langer Schatten warf einen Streifen in den Sand. Von seinem Gesicht sah ich nur die blinzelnden Augen.
»Morgen ist Donnerstag. Glückstag! Alles gut für dich.«
Ich streifte seine Hand zum Abschied, sah lächelnd zu ihm empor.
»Tanemered – Danke! Ich werde daran denken.«
Meine Leute waren schon beim Essen. Sie hatten am Nachmittag einen Rundgang durch Tarn gemacht, nichts Besonderes gesehen.
Ich fragte sie, wie es gewesen war. Sie zuckten mit den Schultern, abgebrüht, reisegewohnt. Und ich? Ob ich meine Großmutter getroffen hatte? Ich erzählte nur das Nötigste.
»Sie ist alt und nicht bei guter Gesundheit. Rheuma, soweit ich das beurteilen kann. Wir haben von meiner Mutter gesprochen. Mich kennt sie ja kaum.«
Nach dem Essen setzten wir uns in die Bar. Das Nachtleben in Tarn war öde, Alkohol amtlich verboten. Aber in den Hotels ging man mit den Vorschriften locker um. Rocco steckte dem Barkeeper etwas zu, und wir bekamen einen Whisky. Wir besprachen noch einmal den Drehplan, erörterten die in Frage kommenden Pannen. Dann ging jeder in sein Zimmer. Ich brauchte lange, bis ich endlich schlief.
Meine Gefühle kamen mir vor wie Wolken, die heftige Winde hin und her schoben. Nichts fügte sich, nichts paßte zusammen. Völker und Länder gingen unter, das war schon immer so gewesen.
Vielleicht steckte ein tieferer Sinn dahinter. Oder auch nicht?
Darüber nachzugrübeln war sinnlos.
Ich hatte Kopfschmerzen und nahm ein leichtes
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