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Wuestenmond

Wuestenmond

Titel: Wuestenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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sehr. Thuy verkroch sich in ihrem Schlafsack wie ein müdes Kind. Rocco vertrug keinen Whisky und hatte einen verlorenen Blick. Die Wüste sei schon eine verfluchte Sache, meinte er. Ein großer Friedhof, mit Felsen als Grabsteine. Irgendwie trifft das zu, dachte ich, und fühlte mich auf einmal müde. Das Feuer brannte nieder; goldene Funken flogen auf, und dünne blaue Flammen. Ich sagte zu Elias:
    »Vielleicht könnten wir einen anderen Platz suchen?«
    Er warf seine Ledertasche über die Schulter, und ich nahm meinen Schlafsack. Die Mondsichel stand schräg neben dem Udan, sandte nur einen schwachen Schimmer aus. Ich war nachtblind und ließ mich von Elias führen.
    »Es tut mir leid«, sagte ich, »ich glaube, ich bin ein bißchen betrunken.«
    Er lachte leise.
    »Das macht nichts, glaube ich.«
    Olivia hatte mal gesagt: »In der Sahara kann man vor sich selbst nicht davonlaufen.« Die Wüste wirkt wie ein Katalysator. Sie kehrt das Innere nach außen, zerstört alle Gewohnheiten und Konventionen. Es gab keine Gesetzmäßigkeit mehr, man fiel aus der Hülle des täglichen Lebens, tief ins Unbekannte.
    Den Tuareg konnte das nicht geschehen. Jeder überlebte nur dank seiner Widerstandskraft. Tuareg, dachte ich, sind stabile Wesen. Ein merkwürdiges Gefühl der Unwirklichkeit erfüllte mich; es war wie ein Traum, und trotzdem war mir alles klar und bewußt. Nichts regte sich in der Schlucht; es schien mir, als wären Elias und ich die einzigen menschlichen Geschöpfe auf der Welt. Dann kam ein leiser Wind auf; ich fühlte, wie sich meine Haut zusammenzog.
    »Frierst du?« fragte Elias.
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    Ich drückte leicht seine Hand. »Nein, eigentlich nicht. Der Whisky hält mich warm.«
    Wir hatten uns vom Lager entfernt; die anderen verstanden das gut.
    Nach der Arbeit fand man immer etwas, womit man sich beschäftigen konnte. Ganz zu Anfang hatte ich eine Zeitlang mit Enrique zusammengelebt. Dann war Thuy aufgetaucht, und Enrique hatte seine Sachen gepackt. Wir waren nicht böse miteinander. Serge stand mehr auf Kerle, und Rocco hatte seit Jahren eine feste Freundin, die in einem Elektronikladen in Belleville Computer verkaufte.
    Und jetzt also Elias; es schien mir, daß es sich lohnen könnte.
    »Vorsicht!« sagte er und kletterte über ein paar Steinbrocken. Als er mir die Hand reichte, sah ich seine Zähne aufblitzen. Seine ruhigen Bewegungen standen in merkwürdigem Gegensatz zu seinen weitausgreifenden Schritten. In einiger Entfernung hoben sich die Felsen schwarz vom Nachthimmel ab. Besorgt half er mir über die Steine bis zu einem Felsvorsprung, der eine Art Höhle bildete. Hier staute sich die Tageshitze; ich war überrascht, wie warm es war. Der Mond schwebte höher; die Sichel war größer als gestern, mit einer kupfernen Aura.
    »Die Felsen saugen die Hitze auf«, sagte Elias. »Später wird es kalt, aber du hast ja den Schlafsack. Paß auf Skorpione auf!«
    Mit der Reitgerte, die er stets bei sich am Gürtel trug, fegte er über den Sand, bevor er eine Decke aus der Tasche zog und ausbreitete.
    Ich zog meine Turnschuhe aus und setzte mich.
    »In Europa ist der Mond viel kleiner«, sagte ich. »In der Sahara ist er am größten.«
    Er streckte sich neben mir aus, auf den Ellbogen gestützt, und legte den Kopf an meine Schulter. Eine kleine Weile blieben wir still sitzen. Schließlich brach ich das Schweigen.
    »Elias, was war mit deinem Vater? Ich wüßte gern ein wenig mehr.«
    Ein Seufzer hob seine Brust.
    »Die Wahrheit ist, daß wir zutiefst beleidigt sind. Wir wollten nicht einsehen, daß es mit uns so weit gekommen war. Es ist sehr schwierig, Unfreiheit zu ertragen, man muß es gewohnt sein, wie man es gewohnt ist zu leben. Wir haben viele tausend Jahre Freiheit in den Knochen und große Mißachtung unserer Armut gegenüber.
    Wir verhungern mit Hochmut, tragen unsere Lumpen wie Königsmäntel. Wir waren Karawanenplünderer und Sklavenhändler, jahrhundertelang unbesiegbar, das hat uns selbstherrlich gemacht.
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    Auch ich bin selbstherrlich, ist dir das nicht aufgefallen?«
    »Ein wenig schon.«
    »Ich kann nichts dafür, ich bin so geboren worden, auch wenn ich keinen Anspruch auf den doppelten Tobol habe.«
    »Was ist das?«
    »Der Tobol ist eine Trommel, das Herrscherzeichen des Amenokals.
    Den doppelten Tobol zu haben, bedeutet, daß beide Eltern adlig sind.
    Durch meinen Vater bin ich ein Kel Rela. Schön. Aber der Vater zählt bei uns nicht. Es ist die Mutter, die den Fortbestand der Linie sichert.

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