Wuestenmond
Trennung von ihr. Seit sie nicht mehr da war, hatte er zu trinken begonnen. In Algerien ist Alkohol amtlich verboten, Aflane scherte sich einen Dreck darum. Er brauchte den Alkohol, um in seine Welt zurückzukehren, um der eigenen Verzweiflung zu entkommen. Es spielte keine Rolle mehr, was andere von ihm dachten und ob es seiner Karriere schadete. Aflane wollte aus der OCRS einen neuen, selbstbewußten Staat machen. Was ich heute darüber denke? Es war eine Utopie, eine Verrücktheit, aber irgendwie bezeichnend für uns. Das Erstaunliche dabei war, daß Aflane nicht nur bei den Tuareg Gehör fand. Unsere nächsten Verwandten, die Berber der Kabylei, hatten es ebenfalls satt, daß man ihre Sprache und Kultur verbot, ihnen sozusagen den Boden unter den Füßen wegzog. Diese Berber hatten das uns gänzlich fehlende Talent, durch Handel reich zu werden. Und so kam es, daß mein Vater über beträchtliche Geldquellen verfügte. Aflane war Enkel des letzten Amenokals und sah sich als Verteidiger der Minoritäten. Darüber hatte ihn die Verhinderung seiner Wiederwahl empfindlich getroffen.«
Elias sprach weiter, ganz versunken in seiner Welt, in seinen Erinnerungen.
»Mein Vater war nicht dumm; bis zu einem gewissen Grad war er sogar gerissen. Er beging keine Unvorsichtigkeiten, machte auch nicht den Fehler, Ghaddafi blind zu vertrauen. Seine Unterstützung mochte von zweifelhaftem Wert sein; aber Aflane zahlte ihm hübsche Summen. Libysche Verbindungsleute führten Waffen und Munition auf Schleichwegen ein. So knüpfte mein Vater ein Netz, das im Laufe der Jahre immer enger wurde. Dabei zog er an verschiedenen Strippen, zwangsläufig sickerte etwas durch. Es kam vor, daß Vorposten der nigerianischen Armee libysche Gefangene machten; diese wurden nach Bilma oder zumindest nach Dirkou gebracht, wo sie eingelocht wurden. Es waren zumeist arme, arbeitslose Kerle; sie führten Propagandaschriften aus Tripolis ein, in denen Ghaddafi den Saharavölkern weismachen wollte, daß er der kommende Erlöser sei, direkt von Allah gesandt und von Mohammed gesegnet. Aflane jedenfalls hatte sich auf ein gefährliches Spiel eingelassen; er wußte, daß Algerien sich eifrig bemühte, über seine geheime Tätigkeit Klarheit zu gewinnen.
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Amenenas Warnungen schlug er in den Wind. Aber wer konnte sagen, ob er die Folgen nicht doch voraussah? Ich denke, es war etwas Selbstzerstörerisches in ihm. Und ich denke auch, daß der Traum einer OCRS sich schon lange in ihm in Auflösung befand.
Aber an diesen Traum glaubten inzwischen viele Menschen. Aflane konnte nicht mehr zurück, auch wenn er es gewollt hätte. Er war ein Kel Rela; man hatte ihm ein gewisses Verantwortungsgefühl beigebracht. Er konnte es sich nicht leisten, seine Gönner zu enttäuschen, ganz abgesehen davon, daß sie ihn bedenkenlos liquidiert hätten. Er mußte der Geschichte gerecht werden. Er mußte es um jeden Preis, es blieb ihm nichts anderes übrig.«
»War es so, wie du sagst?« fragte ich leise.
Er schüttelte den Kopf.
»Ich kann mich irren. Ich versuche mich an seine Stelle zu versetzen…«
»Und dann?…« flüsterte ich.
»Dann geschah der Zwischenfall von Tchin-Tabara-den. Das ist ein Ort in der Republik Niger, der einst zu den Weidegebieten der Kel Dinnik gehörte. Vor Jahren war dieser Stamm nach einer blutigen Revolte über die libysche Grenze geflohen. Sie hatten bei Aflanes Waffentransporten ihre Hand im Spiel. Die Männer versteckten Gewehre und Munitionskisten im Gebirge. Die Frauen verpackten die Waffen in kleinen Mengen zwischen ihren Haushaltssachen und beförderten sie auf Mauleseln über die Grenze. Nun hatte die Regierung allen Nomaden im Rahmen einer nationalen Versöhnung Straferlaß versprochen. Die Kel Dinnik kamen also aus Libyen zurück. Inzwischen waren ihre Weidegründe zur Sperrzone erklärt worden. Im weiten Umkreis waren seit Jahren keine Brunnen mehr ausgegraben worden. Es gab kein Getreide, keine Medikamente, nicht einmal Holz, um sich nachts vor der Kälte zu schützen. Die Not trieb einige junge Leute zu einer Verzweiflungstat: Sie drangen in eine Polizeikaserne ein, erschossen zwei Männer und ergriffen die Flucht, wobei sie einen Beamten als Geisel mitnahmen. Die Regierungen rückten unverzüglich mit Panzereinheiten vor. Das Lager wurde umzingelt. Die Soldaten setzten alle Hütten in Brand, trieben die Menschen zusammen und schossen in die Menge. Sie vergewaltigten die Frauen und zwangen alte Menschen, sich nackt
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