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Wuestenmond

Wuestenmond

Titel: Wuestenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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sollten und wie wir es tun sollten. Es war einfach zuviel.«
    »Ich glaube, das könnte ich auch schwer ertragen«, sagte ich.
    »Besonders, weil ich eine Frau bin.«
    Elias nickte.
    »Ja. Das alles schuf böses Blut. Und inzwischen ging es den Tuareg der Sahelzone noch dreckiger als uns. Die Republiken Mali und Niger waren ungefähr zum gleichen Zeitpunkt unabhängig geworden. In den siebziger Jahren brach unter den Adrar-Iforas eine Revolte aus. Die totgeborene OCRS spukte noch in den Köpfen herum. Die malische Regierung konnte eine Gefährdung ihres jungen Staates nicht zulassen und schlug mit unerbittlicher Härte zurück. Die Soldaten hatten Panzer und Kanonen und gute Gewehre und zogen mit einem tausend Jahre alten Groll in den Kampf. Mit dem Segen der Republik erteilten sie uns die Quittung. Sie verbrannten unsere Lager, verboten den Karawanenhandel, vergifteten die Brunnen. Sie entführten und vergewaltigten unsere Frauen, sie machten uns zu Bettlern, zu Krüppeln.«
    Ich schluckte schwer.
    »Woher hatten sie das Geld?«
    »Mobito Keita, der damalige Präsident, hatte bei der Aussöhnung zwischen Algerien und Marokko vermittelt; beide Staaten zeigten sich erkenntlich. Die Tuareg mochte keiner, weil sie Weiße sind. In Kidal, dem Zentrum der Iforas-Tuareg im Adrar, wurde ein Gefängnis und ein Deportationslager errichtet, die gesamte Gegend rund um Kidal anschließend zum Sperrgebiet erklärt. Die Tuareg wehrten sich. Noch heute kommt es immer wieder vor, daß man verkohlte Leichen und ausgebrannte Armeefahrzeuge auf den Pisten findet. Vereinzelte Terroristen, sagt die Regierung. Freiheitskämpfer sind überall Terroristen, bevor sie an die Macht kommen und auf dem roten Teppich empfangen werden. Na schön. Ich rede zuviel.«
    »Und im Niger?«
    »Da ging es erst später los. Zuerst brachte der Uranabbau Wohlstand.
    Dann trat die erste große Dürre ein. Die Brunnen vertrockneten, das 158
    Vieh verhungerte; viele Tuareg sahen sich gezwungen, seßhaft zu werden. Anfang der achtziger Jahre brachen die Weltmarktpreise für Uran zusammen. Gleichzeitig setzte eine neue, noch schlimmere Trockenzeit ein. Es ist hart für die Nomaden, wenn Jahre ohne Regen aufeinanderfolgen; es war immer hart gewesen; es gab keine Milch und kein Gras. Sie hatten Hunger, aber dennoch versuchten sie, das Beste daraus zu machen. Aber diesmal war nichts wie früher; sie waren zum erstenmal in ihrer Geschichte auf fremde Hilfe angewiesen. Bald merkten sie, wie die Sache lief: Die für sie bestimmten Entwicklungsgelder landeten in den Taschen korrupter Beamter. Auf den Märkten von Agadez und Niamey wurden Hilfsgüter zum Verkauf angeboten. Die Regierung kontrollierte die Stämme mittels Angst, Erpressung und Einschüchterung. Den Tuareg riß der Geduldsfaden. Sie brauchten Waffen und wandten sich an Libyen. Ghaddafi lieferte den Aufrührern Maschinengewehre und spannte sie vor seinen Propagandakarren. Und damit wären wir bei meinem Vater.«
    Ich befeuchtete meine trockenen Lippen.
    »Ich hatte keine Ahnung, daß er…«
    Elias schüttelte den Kopf.
    »Niemand wußte es. Auch ich nicht. Er stand in Verbindung zu Tripolis, schmuggelte Waffen in die Sahelgebiete und tat dies seit geraumer Zeit. Daß er Ghaddafi ein paarmal heimlich getroffen hatte, erfuhr ich durch Zufall. Die Volksrepublik Libyen, der ›alte Feind im Norden‹ bedrohte die politische Stabilität sämtlicher Nachbarländer. Aber mein Vater war in erster Linie ein Targui.«
    Ich war im ersten Augenblick wirklich überrascht. Elias’ Augen glänzten, er schien völlig abwesend. Er lag neben mir mit ausgestreckten Beinen, seine nackten Füße berührten die meinen. Als ich sprach, hörte ich den rauhen, erschütterten Klang meiner eigenen Stimme.
    »Was war für ihn drin?«
    »Vieles«, antwortete Elias bitter. »Siehst du, die OCRS war für die Mehrheit der Tuareg zu einer nostalgischen Erinnerung geworden –
    so etwas wie eine verpaßte Gelegenheit. Aber es gab doch einige, die noch daran glaubten. Und mein Vater gehörte dazu. Gegen jede Vernunft hielt er an diesem Hirngespinst fest. Das war seine einzige, alles beherrschende Leidenschaft; dahinter stand als treibende Kraft die Liebe zu meiner Mutter. Und das ist alles.«
    »Alles? Das scheint mir doch ziemlich viel zu sein.«
    159
    Die Wirkung des Whiskys war verflogen. Ich fühlte mich nüchtern, aber zerschlagen. Elias fuhr fort:
    »Mein Vater liebte meine Mutter tatsächlich, wie verrückt. Er litt sehr unter der

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