Wuestenmond
bildete ich mir das nur ein? Ich fühlte mich schläfrig, die Gedanken zersplitterten wie Regentropfen.
Mein Kopf war so leer, als wollte er wegschwimmen. Eine Freundin 151
hatte mir mal gesagt, so sei es, bevor man ohnmächtig wird. Mein Gesicht fühlte sich klamm an. Der Magen hob sich mir. Ich glaubte, ich müsse mich erbrechen, und schluckte würgend.
»Genug für heute!« sagte ich. »Gehen wir.« Niemand widersprach; wir waren alle müde. Elias führte uns hinaus, erläuterte dies und jenes, war aber nur halb bei der Sache. Mein plötzlicher Stimmungswechsel mochte ihm nicht entgangen sein. Vielleicht spürte auch er die Warnung im Blut. Was mag er wissen? dachte ich.
Die Molche, dachte ich apathisch. Ja, die Molche waren es, die mich störten. Was war bloß mit ihnen? Erst als ich mich mit tastenden Schritten von dem Loch entfernte, löste sich der Druck. Es geschah innerhalb von Sekunden. Kein Kopfweh mehr, mein Herz schlug gleichmäßig. Lastende Ruhe erfüllte mich. So fühlt man sich nach einem Fiebertraum. Ja, es war wirklich vorbei. Sinnestäuschung, Müdigkeit? Offenbar hatte ich mir zuviel zugemutet. Vielleicht bekam mir auch der Zucker im Tee nicht. Es konnte sogar meine Periode sein, die auf Reisen manchmal verrückt spielte. Ich spürte nichts als ein starkes Bedürfnis nach Schlaf. Doch als wir aus der Höhle traten, fühlte ich mich gleich besser. Der Himmel war rot; in der Schlucht lagerte schon die Dämmerung. Ich atmete tief die kühle Luft ein. Sie duftete wie eine Frucht. Es machte mir zu schaffen, daß Elias mich vielleicht nicht verstehen würde. Und dieser Gedanke brachte mich vollständig wieder zur Besinnung.
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16. Kapitel
D ie sinkende Sonne loderte wie ein Flammenbusch – wild, grell, rot. Seltsame Schatten spielten in der Schlucht. Ein purpurnes Aufleuchten zog ein kurzes Violett nach sich, dann sank die Dunkelheit herab. Wir saßen, in Daunenjacken eingemummt, um das Lagerfeuer; wir stopften uns Dörrfrüchte in den Mund, kochten Spaghetti und öffneten mehrere Büchsen Thunfisch mit Tomatensauce. Wir aßen gierig und tranken dazu. Müde waren wir schon genug, die Arbeit mit der Kamera war hart, es gab Stunden, die dreifach zählten. Morgen würde es im gleichen Stil weitergehen, vielleicht auch noch übermorgen. Ich hoffte, daß im Film keine Kratzer waren. Immer noch, auch wenn es mein Beruf war, Bilder herzustellen, erschreckte mich die Tatsache jedesmal aufs neue, daß ein kleines, unsichtbares Stäubchen, ein winziges, im Laufgang der Kamera übersehenes Sandkorn, imstande war, die ganze Arbeit unbrauchbar zu machen.
Nach dem Essen tranken wir Whisky, wir brauchten das jetzt. Serge reiste nie ohne seinen Notvorrat, auch nicht in die Sahara. Mit Wasser wurde gespart, also tranken wir den Whisky pur; die Wirkung blieb nicht aus. Jeder hatte seinen Vorrat an Lügengeschichten, die man sich erzählt, um die Abendstunden auszufüllen. Geschichten von sexspleenigen Legionären, von behämmerten Entwicklungshelfern und von Touristen, die bei fünfzig Grad Hitze ein Sonnenbad nahmen. Die meisten waren nicht stubenrein, einige wirklich komisch, so daß wir Tränen lachten.
Enrique sagte:
»Kennt ihr die Geschichte von dem, der Gott in der Sahara suchte?
Er schüttete seine Reservekanister über die Reifen aus und setzte seinen Wagen in Brand. Dann riß er sich sämtliche Kleider vom Leib und rannte in die Wüste hinaus, laut nach Gott schreiend.«
»Und«, fragte ich, »hat er ihn gefunden?«
»Man weiß es nicht. Der Gottsucher, ja, der wurde gefunden.
Splitternackt und halb tot. Er landete in der Krankenstation.«
Schallendes Gelächter. Sogar Thuy lachte hellauf. Enrique reichte Elias die Flasche. »Du bist dran!«
Elias grinste ihn durch die Dunkelheit an. »Ich weiß keine komischen Geschichten.«
»Los!« sagte ich. »Einmal war da ein Targui, der…«
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»Einmal war da ein Targui, der seinen Gegner mit einem Schwerthieb in zwei Stücke teilte. Der Mann blieb aufrecht stehen und höhnte: ›Feigling! Zeig mir, wie du die Waffe führst.‹ – ›Komm her!‹ rief der andere und rührte sich nicht vom Fleck. Der Gegner machte einen Schritt nach vorn: Sein Körper fiel in zwei Hälften auseinander zu Boden.«
Wir lachten. Enrique wischte sich die Tränen aus den Augen. »Ihr Tuareg kommt mir schon sonderbar vor.«
Elias nahm einen Schluck.
»Wir sind vielleicht ein wenig aufbrausend.«
So ging es hin und her. Bald war Enrique ziemlich betrunken und Serge
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