Wuestenmond
Amenena gehört nicht zu den drei Adelsstämmen, sondern zum Vasallenstamm der Iforas. Früher hätte man von Aflane verlangt, daß er das Königslager verläßt und bei seiner Frau im Adrar lebt.«
»Hätte er Amenokal werden können?«
»Nur durch außergewöhnliche Leistungen. Der Titel ist nicht erblich.
Na gut, das ist vorbei.«
»Und du hast den Tobol nur zur Hälfte?«
»Man findet sich damit ab«, sagte Elias. »Es ist nicht allzu belastend.«
»Erzähl weiter!«
»Wir sind nicht leicht zu verstehen, glaube ich. Wir lebten in einer besonderen Welt, die nicht geradezu von Allah geschaffen wurde, wohl aber von uns selbst. Solange unsere Schwerter die besten Afrikas waren, ging alles gut. Eine Zeitlang gestatteten wir uns sogar den Luxus, Feuerwaffen zu verachten. Gewehre galten als Waffen für Feiglinge, weil man damit – wie wir sagten -›hinter den Büschen hervorschießt‹. Feuerwaffen waren schäbig und heimtückisch und eines Krieges unwürdig. Verrückt, was?«
»Und irgendwie großartig.«
»Irgendwie großartig, ja. Leider hatten die Franzosen, die damals unsere Gebiete bedrohten, vor hehrem Rittertum wenig Hochachtung. Wir mußten schleunigst umdenken. Aber noch lebten wir in der Überzeugung, daß man das Schwert nur mit Ebenbürtigen kreuzt. Wer in den Staub kniete und als Zeichen der Unterwerfung unsere Füße küßte, den verschonten wir; schickten ihn Hirse sammeln. Wir taten es nicht aus Furcht vor dem Himmel, sondern aus Eigenliebe: Bittsteller zu töten gereichte uns nicht zur Ehre. Für die seßhaften Afrikaner waren wir die Strafe Gottes. Die Furcht saß ihnen im Blut. Sie entstammt jenen Zeiten, da unsere Krieger bis zu den Mondbergen im Osten und bis zum Atlantik im Westen 156
vordrangen. Damals zitterten sie vor uns, heute sind sie an der Macht. Sie rächen sich, indem sie uns belügen, betrügen und bestehlen. Sie wollen uns vernichten. Und entwickeln hierbei eine beträchtliche Geschicklichkeit.«
Ich spürte einen Stich in der Herzgegend, eine Art schlechtes Gewissen.
»Ich weiß nur wenig davon.«
Er schüttelte den Kopf.
»Das macht nichts. Im Grunde ist es eine einfache Geschichte. In der Zeit des Algerienkrieges bangten die Franzosen um den Verlust ihrer profitbringenden Ölfelder. Sie boten uns an, unter französischer Schirmherrschaft die OCRS (Organisation Commune des Regions Sahariennes) zu gründen. Diese Konföderation wäre unser erster Nationalstaat geworden, und schwerreich noch dazu. Daß die
›Grande Nation‹ in der Gegend von In-Eker, ungefähr sechshundert Kilometer nördlich von Tarn, klammheimlich Atombomben testete, vergaßen wir großzügig.«
»Atombomben?« murmelte ich geistesabwesend.
»Ja. Die ganze Gegend war Sperrzone. Die Explosionen erfolgten unterirdisch.«
Es kam mir in den Sinn, daß ich mir über eine unbekannte Frage den Kopf zerbrach. Das Dumme war nur, daß ich mich nicht auf sie besinnen konnte. Ich stand wie unter einem Zwang; die Antwort war mir entsetzlich wichtig. Und doch konnte ich, weil sich eine Tür in meinem Hirn schloß, weder Frage noch Antwort finden. Das Gefühl war ausgesprochen ärgerlich.
»Weiter, Elias!«
»Wir haben ein Sprichwort: ›Die Hand, die du nicht abhacken kannst, sollst du küssen.‹ Also küßten wir den Franzosen beflissen die Hand und schärften jedem ein, die Sache vorläufig für sich zu behalten. Doch in letzter Minute ging alles schief. Das französische Militär warf als Ehrensalve noch ein paar Napalmbomben auf die Fellaghas, dann setzten feierliche Reden dem Massaker ein Ende.
General de Gaulle verkündete die Waffenruhe, und Algerien wurde als islamischsozialistischer Einparteienstaat unabhängig. Statt im Geld saßen wir plötzlich im Dreck und galten obendrein als Verräter.
Die Folgen waren fatal. Langsam aber sicher zog Algerien den Schraubstock an. Anfangs, das muß ich zugeben, wurde Nachsicht geübt. Man schaffte einige Querköpfe aus dem Weg, ließ die Alten in ihrer Seriba hocken und hoffte, daß sie bald starben; gleichzeitig 157
umwarb man die Jugend. Doch bei uns ging die Rechnung nicht auf.
Allah und Marx – die Mischung bekam uns nicht. Unsere Frauen hielten die Kinder von der Schule fern. Wir verweigerten den Militärdienst; wer seinen Dienstbefehl bekam, verschwand und ward nicht mehr gesehen, bis man ihn durch Zufall fand und mit Handschellen in die Kaserne schleppte. Und überall waren nur die
›Typen aus dem Norden‹ – Araber, die uns sagten, was wir tun
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