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Wuestenmond

Wuestenmond

Titel: Wuestenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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auszuziehen, eine Kränkung, die schlimmer ist als der Tod. Man sammelte die Kinder ein, folterte sie und tötete sie vor den Augen der Eltern. Über dreihundert Tuareg fielen dem Gemetzel zum 161
    Opfer, jene nicht mitgezählt, die verdursten mußten, weil die Soldaten ihnen den Zugang zu den Quellen versperrten. Um es kurz zu machen: Die Täter ermordeten ihre Geiseln und lieferten sich dem Militär aus. Man wollte wissen, woher sie ihre Waffen hatten. Und dabei fiel der Name meines Vaters.«
    Ich zuckte unwillkürlich zusammen.
    »Jetzt verstehe ich…«
    »Er wurde verhaftet, wie du dir denken kannst. Es war also nicht seine eigene Dummheit. Die Kel Dinnik hatten ihn verpfiffen; ihnen war wohl nichts anderes übriggeblieben. Da Aflane als Abgeordneter Immunität genoß, meinten wir alle, er würde bald wieder freikommen. Die Zeit verging, wir wurden hin und her gerissen von zwiespältigen Empfindungen, die uns abwechselnd hoffen und verzweifeln ließen. Von dem armseligen politischen Plan, der ihn jetzt ins Verderben zog, erfuhren wir erst nachträglich. Denn in der Zwischenzeit übten Mali und Niger Druck auf Algerien aus; man wollte Ghaddafi einen Denkzettel verpassen. Mein Vater verlor seine parlamentarische Immunität, kam in Isolationshaft, die Verhörmethoden wurden immer brutaler. Er weigerte sich, Namen zu nennen. Auch ich wurde vorgeladen, konnte aber beweisen, daß ich bis vor kurzem im Ausland war. Mein Paß wurde konfisziert; ich wurde angewiesen, Algerien nicht zu verlassen. Und da sie annahmen, daß mich Aflane mit seinen Ansichten infiltriert hatte, verlor ich meine Stelle bei der Präfektur. Ein einziges Mal wurde mir erlaubt, meinen Vater zu besuchen. Zehn Minuten lang; ein Polizist war dabei, er ließ uns keine Sekunde aus den Augen. Aflane sah schlecht aus, er war abgemagert und bleich. Er dankte mir höflich, daß ich gekommen war, sprach jedoch wenig von sich selbst. Doch, es gehe ihm gut. Etwas Fieber, manchmal, aber nichts Schlimmes. Er trug keine Gandura mehr, auch den Schesch nicht, nur Hemd und Hose. Er kam mir fremd und abwesend vor. Er hatte sich zurückgezogen, und mit jedem Atemzug entfernte er sich weiter von mir. Was wir sagten, war unbedeutend. Nur unsere Augen sprachen zueinander; wir wußten beide, daß dies der Abschied war. Nach einer Weile zog er ein kleines Foto aus seiner Hemdtasche, betrachtete es lange und legte es vor mich hin.
    ›Sieh dir dieses Foto an‹, sagte er.
    Ich sah es mir an. Es war Amenena.
    ›Nimm es und gib es ihr‹, sagte Aflane.
    ›Was soll ich ihr sagen?‹
    162
    ›Nichts.‹
    Ich nahm das Foto; der Polizist sah auf die Uhr und gab uns ein Zeichen. Die zehn Minuten waren vorüber. In Aflanes Zügen veränderte sich nichts.
    ›Grüße deine Mutter von mir‹, sagte er, bevor man ihn hinausführte.
    Wieder vergingen Monate, ich wohnte bei meinem Freund Raschid in Blida. Ich lebte in ständiger Sorge, wußte nicht, womit ich die Tage füllen sollte; ein zweiter Besuch bei meinem Vater wurde mir verweigert. Ich machte mit Raschid einige Touren, wartete auf einen Brief meines Vaters; es kam keiner. Es ging mir nicht besonders, alles stand auf der Kippe. Mein Husten kam wieder, ich fühlte mich krank. Ich träumte fast jede Nacht von Aflane, und jedesmal war sein Gesicht voller Blut.
    Dann kam eines Morgens ein Anruf von der Polizeibehörde: mein Vater sei gestorben. Herzversagen. Später erfuhr ich, daß ein Beamter einen Befehl falsch ausgeführt hatte. Ich hätte erst benachrichtigt werden sollen, als Aflane bereits unter der Erde lag.
    Bei den Moslems findet die Beisetzung am Todestag statt. Raschid brachte mich mit seinem Peugeot nach Algier. Es wurde eine halsbrecherische Fahrt. Wir kamen im letzten Augenblick zum Friedhof, sie waren schon dabei, meinen Vater ins Grab zu legen. Es war ein hastig ausgehobenes Loch, nicht einmal tief; der Koran schreibt vor, daß die Toten direkt unter der Oberfläche bestattet werden. Mein Vater lag neben dem Grab, nackt, in ein weißes Leinentuch gewickelt. Das Gewebe schmiegte sich um sein Antlitz; im Sonnenlicht traten die Umrisse seiner Züge hervor, wie mit einer Kalkschicht überzogen. Er, den ich als hochgewachsenen Mann in Erinnerung hatte, kam mir plötzlich merkwürdig geschrumpft vor.
    Die beiden Totengräber versperrten mir den Weg. Ich stieß sie beiseite; mir war, als berührte ich sie nur leicht; sie gafften erschrocken und ließen mich vorbei. Ich beugte mich über meinen Vater, riß das Leinentuch

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