Wuestenmond
Ruhe.
Vielleicht gibt es andere Wege. Ich suche.«
Wir sahen uns an. Er hatte immer noch diesen merkwürdigen Ausdruck in den Augen.
»Und wo suchst du, Elias?«
Er zog plötzlich die Schultern hoch und lachte; ein kurzes, trockenes Lachen.
»Auf einer Müllhalde. Noch ein paar Jahre, und wir hocken auf dem größten Schrottplatz dieser Erde. Was siehst du, überall in der Sahara? Doch nur verrostete Büchsen, zerplatzte Autoreifen, Wegwerfrasierer, Scherben, gebrauchte Batterien, Plastikfetzen. Die Wüste trocknet aus, und in die letzten Wasserlöcher schütten die Touristen Waschlauge. Aman Iman – Wasser ist Leben, heißt es bei uns. Und sie vergiften es.«
Ich erinnerte mich an das seltsame Gefühl in der Höhle, dieses akute Gefühl einer Gefahr. Die bloße Erinnerung daran ließ mich erzittern.
Doch jetzt, da er damit begonnen hatte, war es plötzlich leicht für mich, ihm diese Sache zu erzählen.
»In der Höhle, da wurde es mir abwechselnd heiß und kalt; ich hatte aus irgendeinem Grunde ganz höllische Angst. Hast du das niemals gespürt, Elias?«
Er schenkte mir seine volle Aufmerksamkeit.
»Angst ist eine gute Lehrmeisterin. Wer nicht auf sie hört, riskiert sein Leben.«
Ich fühlte mich plötzlich ruhiger. Mit Elias konnte ich darüber sprechen. Mir war, als würde eine schwere Last, die ich den ganzen Tag getragen hatte, von meinen Schultern genommen.
»Ob sich wohl jemand in der Höhle versteckt?«
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Er schüttelte den Kopf. »In der Wüste hängt unser Leben von unseren Augen und Ohren ab. Ich hätte es bemerkt. Nein, mir ist nichts aufgefallen.«
»Aber was konnte es dann sein, Elias? Du hast von Tieren gesprochen. Molche, nicht wahr?«
»Als Kind habe ich einige gesehen. Vielleicht sind jetzt keine mehr da.«
»Hattest du Angst?«
»Nicht im geringsten. Molche sind harmlos. In unserer Mythologie heißt es, daß der Molch, wie der Gerechte, seinen Seelenfrieden im Dunkel bewahrt. Warum machst du dir Sorgen?«
Wieder spürte ich, wie sich in mir ein Unbehagen regte – so heftig diesmal, daß ich es nicht hätte schildern können.
»Etwas ist nicht… normal.«
Er nickte geistesabwesend.
»Es gibt Veränderungen; so viele, daß ich bisweilen kein Vertrauen mehr habe in das, was ich beobachte. Sehe ich die Zeichen nicht oder will ich sie nicht sehen? Bin ich blind geworden? Borniert?«
Mein Mund wurde trocken.
»Ich glaube kaum, daß du borniert bist, Elias. Es ist schon so, du willst sie nicht sehen.«
Er seufzte, langsam und tief.
»Die Wüste stirbt, und wir sterben mit ihr. Sie stirbt als Naturwunder und entfaltet sich als lebensbedrohende Kraft. Vor Millionen von Jahren war hier das Meer. Eines Tages werden Wanderdünen ganz Afrika bedecken. Als Targui habe ich ein ziemlich präzises Bild davon, wie es sein wird. Und es hat schon begonnen. Die Hinweise sind überall.«
Ich puffte ihn in den Rücken.
»Wenn du so denkst, dann kannst du dich wirklich gleich aufhängen.«
»Au!« stöhnte er und lachte. »Nein, im Ernst, ich wollte, ich könnte allen erzählen, was für eine einzigartige Kultur wir früher einmal hatten. Dann würde die Welt mal hellhörig. Man schützt die Gorillas, den Regenwald und die Antarktis. Warum nicht die Tuareg? Ist es, weil wir nicht laut genug jammern? Oder ist es, weil wir keine Tempel haben, keine Obelisken, keine Bibel und keinen Koran?
Weil nur Felsbilder unsere Geschichte erzählen? Was kann man mit einer Fremdwelt anfangen, von der kein anderes Gefühl ausgeht als das Staunen gegenüber Dingen, die nicht mehr sind? Und gerade 169
deswegen lösen Felsbilder in mir eine ganz besondere Ergriffenheit aus; sie sind das einzige Gedächtnis, das wir haben. Wir sind das älteste Volk der Erde, aber es kann durchaus sein, daß wir morgen nicht mehr da sind. Es wäre nicht das erste Mal, daß ein Volk in der Falle der Geschichte verschwindet. Die Welt kann sehr gut ohne uns leben, die Afrikaner sogar bestens. Eine Kultur wie die unsrige hat kaum eine Chance. Wir sind zu anmaßend. Wir krepieren in großem Stil. Wie auch immer, die ersten Touristen waren schon hier. Adil hat für sie die Fahrt organisiert.«
»Woher weißt du das?«
»Weil er es mir gesagt hat.«
»Waren sie auch in der Grotte?«
»Noch nicht. Aber Adil hat ihnen die Gravuren und die Ruinen gezeigt. Sie haben fotografiert und gefilmt. Es geht bald los, das kann ich dir versichern. Ich glaube an Dinge, die ich fühlen kann.«
Sanft strich ich mit den Fingern über sein
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