Wuestenmond
Kummer zu ersparen. Ich glaube nicht, daß es mir gelang.
Zara stellte Fragen, so einfach und unverblümt, daß ich mich in Widersprüche verwickelte. Ich habe nichts preisgegeben, aber ich merkte, daß sie sich ihren Teil dachte.
Danach ritt ich in den Adrar, zu Amenena. Ich gab ihr das Foto und erzählte, daß ich es von Vater hatte. Ihr konnte ich die Wahrheit sagen; Amenena war nicht überrascht. Sie hatte das Unheil schon lange vorhergesehen. Bei ihr im Zelt konnte ich weinen. Ich versuchte meine Tränen wegzuwischen, aber sie wollten nicht aufhören. Und weißt du was, Tamara? Ich sagte Amenena, daß eine Eidechse zum Grab meines Vaters gekommen sei. Eigentlich hatte ich keine Antwort erwartet. Doch sie erwiderte ruhig: ›Ja, mein Sohn.‹ Ich wollte etwas sagen und biß mir hart auf die Lippen. Nie hätte ich die Unverschämtheit aufgebracht, meine Mutter zu fragen, wie sie zu der Kenntnis der Dinge kam. Ich nahm mir immerhin die 165
Zeit, sie eine Weile zu beobachten, schweigend. Ich fand, daß sie noch schön war, schöner als jede andere Frau. Ich fragte mich, was ihre Schönheit so erhalten hatte, und verstand, daß es ihr Geheimnis war. Und schließlich begann Amenena zu sprechen, sehr leise, mit abgewandtem Gesicht. Sie sagte, wie sehr ich meinem Vater gleiche und wie stark sie an ihn denken müsse, sobald sie mich ansieht. Wie sehr sie ihn immer noch liebe; sie würde nie aufhören, ihn zu lieben, bis zu ihrem Tod. Dann zog sie sacht den Schleier über den Kopf, bis zu den Augen, und ging stumm aus dem Zelt.«
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17. Kapitel
E ine Weile schwiegen wir; über uns funkelten die Sterne wie die weißglühenden Kohlen vom Feuer eines Riesen, die der Wind weit über den schwarzen Himmelsherd verstreut hatte. Ihre leuchtenden Myriaden schwärmten tief; in ihrem Licht lag die Schlucht totenstill da und dehnte sich über dreißig Kilometer von Westen nach Süden.
Über die schwarzen, senkrechten Einschnitte der Berge schimmerte bernsteinfarben der Halbmond, schwarz an den Rändern, mit einem Schatten. Elias lag ganz still; sein Gesicht lehnte an meiner Schulter.
Sein Profil war ruhig, wie im Schlaf.
»Es tut mir leid. Ich wollte keine unglücklichen Erinnerungen wachrufen«, sagte ich.
Er blinzelte leicht und schien über meine Worte nachzudenken.
»Uduf – die Trauerzeit – ist für jeden Menschen unterschiedlich lang. Vielleicht ist in der Wüste die Trostlosigkeit milder, die Einsamkeit natürlicher.«
Der Wind strich über uns hinweg, Elias’ warmer Körper lag dicht neben mir; er hatte die Hitze der Sonne gespeichert. Ich roch seine Haut unter der leichten, weißen Baumwolle. Tiefe Traurigkeit überkam mich, wuchs unaufhörlich. Ich fühle mich wie ein Hundertjähriger, hatte Elias gesagt, und ich verstand ihn. Er kannte die Schwermut, die tragische Schmerzlichkeit einer Lebensart, die mit jedem Jahr mehr dem Gedächtnis entschwand und im Grunde schon vergangen war. Eine Zeitlang war er ein Teil davon gewesen; und er war von Stolz erfüllt darüber, daß es sie gegeben hatte. Er kämpfte gegen etwas an, doch der Kampf wurde zunehmend quälender und verzweifelter. Er wußte auch um das Gleichgewicht zwischen Schein und Wirklichkeit und wollte nicht verzweifelt sein.
Ja, dachte ich, es gibt nur eine einzige Geschichte, und es war eine Geschichte von Heldentum und Mut und unaufhaltbarem Zerfall. Ich fragte:
»Willst du immer noch Politiker werden?«
Er schüttelte den Kopf.
»Mit der Politik bin ich fertig.«
»Warum?«
»Weil ich der Sohn eines Verräters bin. Ich weiß genau, welches Etikett man mir um den Hals hängt. Ich war in den Vereinigten Staaten, nicht in Kuba, wie es sich gehört. Ich bin ein Ungläubiger, 167
ein Reaktionär, also immer verdächtig, immer unter Beobachtung.
Ich merke schon, was um mich herum vorgeht: Mißtrauen und Verleumdung. Zwei oder drei Freunde hatte ich geglaubt zu haben, und jetzt zeigt sich, daß sie meine Feinde sind. Die übliche Paranoia.
Jetzt warten sie nur noch darauf, daß ich einen Fehler mache, irgendeinen. Mein Vater hat mir die Karriere verpfuscht, vielleicht sollte ich ihm dankbar dafür sein.«
»Und was nun?«
»Ich sehe ja, wie das hier läuft. Man nimmt keine Rücksicht auf uns, nicht die geringste. Da ist die gewaltsame Seßhaftmachung, die erstickende Bürokratie, der bornierte religiöse Eifer. Wir sind wie gelähmt, wir haben unsere Seele verloren. Ich benehme mich daneben, ich bin hilflos, mir läßt mein Gewissen keine
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