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Wuestenmond

Wuestenmond

Titel: Wuestenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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weg.
    »Mach dir nichts vor, Elias!«
    »Glaubst du mir nicht?«
    »Sentimentales Gerede! Außerdem hast du meine Frage nicht beantwortet. Was tust du noch, außer Kamele melken?«
    Er sah mich an, sehr innig und schalkhaft zugleich, während er den Reißverschluß des Schlafsackes höher zog, so daß wir den Wind nicht mehr spürten. Dann sprach er ganz leise. »Was ich sonst tue?
    Nun, ich kämpfe gegen Schikanen an. Am meisten bringt mich in Wut, daß wir einen Ausweis brauchen – den wir auch noch bezahlen müssen –, um in unserer eigenen Heimat zu kommen und zu gehen.
    Azawad, unser herkömmliches Wandergebiet, ist von imaginären, postkolonialen Linien zerschnitten. Diese idiotischen, mit dem Lineal gezogenen Grenzen auf der Karte versauen uns das Leben.
    Die gleichen Leute, die früher für uns die Schafe hüteten, die wollen 201
    uns jetzt weismachen, wir hätten eine Grenze zu beachten – die es in Wirklichkeit nicht gibt! Wir sind freie Menschen, keine Dattelsteine in einer rostigen Büchse. Aber nur unzufrieden und wütend sein im Leben, wohin führt das? Irgendwie müssen wir uns damit abfinden.«
    Wir lagen dicht beieinander, denn es war kaum Platz, sich zu bewegen. Ich atmete an seinem Hals, die Wärme war intensiv.
    »Du hast mir kaum Fragen gestellt«, sagte ich, mit einem Anflug von schlechtem Gewissen, »immer nur ich dir. Vielleicht hängt es mit meiner Vergangenheit zusammen, meinetwegen auch mit Olivias Vergangenheit. Es gibt so viele Dinge, die ich wissen möchte…«
    »Ich würde es genauso machen«, sagte er. »Du hast alle guten Gründe, mich zu fragen. Siehst du, ich möchte eine Schule einrichten.«
    »Was für eine Schule?«
    »Eine Schule für Nomadenkinder. Und ich will, daß die Mädchen kommen, auch wenn ich jede Mutter einzeln davon überzeugen muß.«
    Ich war sehr überrascht.
    »Ja… aber… das verstehe ich nicht. Warum halten sie die Mädchen von der Schule fern? Das tun ja nicht einmal die Araber!«
    Er drückte meine Schulter.
    »Es ist etwas schwer zu erklären. Man verweigert den Mädchen nicht den Unterricht, weil sie als wertlos gelten. Es ist genau das Gegenteil. Die Frauen sind die Firststange unseres Lebenszeltes. Sie stehen am Anfang unserer Kultur, unserer Sprache, der mündlichen Geschichte. Frauen sind klüger als Männer; sie wissen, daß unsere Lebensweise in Gefahr ist. In ihrer Weisheit fühlen sie sich von den unsinnigen Diktaten des Islams bedroht. Nur mit größtem Widerwillen schicken sie ihre Söhne in Internatsschulen, setzten sie der Arabisierung aus. Diese Schulen sind wie Gefängnisse mit militärischem Drill, das habe ich am eigenen Leib erlebt. Die Araber denken, es sei das beste, uns zu verbieten, Tuareg zu sein. Manchmal haben sie Erfolg damit.«
    »Bei dir hatten sie keinen.«
    »Nein, bei mir nicht. Die Lektion, die ich in solchen Schulen lernte, war: ›Schlag als erster zu!‹«
    »Warst du der Stärkere?«
    »Nicht immer. Ein paar Scheißkerle mögen sich wohl noch an mich erinnern. Ich hatte nie Selbstmitleid. Ich versuchte auch nicht zuviel an Amenena zu denken. Sobald ich nämlich an sie dachte, rief sie 202
    mir zu, ich sollte aufhören. Ich war immer ein Targui, wenn es darauf ankam. Kein Wunder, daß die Mütter ihre Mädchen im Zelt behalten. Aber so schützen sie ihre Töchter auf unsinnige Weise vor dem Leben. Unsere Kultur kann nur weiterbestehen, wenn wir Widerstand leisten. Als ich klein war, sagte Amenena zu mir: ›Du mußt deine Träume wahr machen.‹ Sie sprach von Träumen wie von wirklichen Dingen, sah sich in unserer Welt um und blickte dann in eine andere Welt. Beide Welten waren für sie real, während ich ungeschickt dazwischenstand. Meine Träume waren immer verrückt; die von Amenena in gewisser Weise auch. Einmal, ich war sechs Jahre alt oder sieben, da saß sie im Zelt mit geschlossenen Augen, und ich wollte wissen, was sie sah. ›Ich sehe nichts‹, sagte sie. ›Ich höre den Muezzin.‹
    Ich wartete; ich war eindeutig gespannt. Nach einer Weile sagte sie:
    ›Ich höre nicht einen, sondern mindestens zehn.‹
    Mit der Zeit hörte ich sie auch. Sie hatten Lautsprecher und machten einen gewaltigen Lärm. Die Sonne ging unter; jetzt sollten wir beten.
    Alle auf dem Boden, gen Mekka gewandt.
    ›In den Zelten gibt es Frauen, die das nicht wollen‹, sagte Amenena.
    ›Was tun sie, Mutter?‹
    ›Komm! Wir sehen uns das an. Mach ganz fest die Augen zu.‹
    Ich tat, was sie sagte.
    ›Was siehst du,

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