Wuestenmond
fragend an, und er nickte mir zu.
»Das ist der Harmattan, der rote Wind. Wir haben Glück gehabt.
Noch ein paar Tage, und die Ruinen werden unter dem Sand begraben sein.«
Ich starrte ihn verwundert an.
»Für wie lange?«
»Für Wochen oder für Jahre, wer weiß? Irgendwann kommen sie wieder zum Vorschein. So geht es seit Jahrtausenden.«
Wie merkwürdig, dachte ich, eine ganze Stadt, die ans Licht kam und sich wieder in die Erde zurückzog. Als ob auch sie ein Trugbild wäre, zerweht auf den Flügeln des Windes. Über unseren Köpfen glänzte der Himmel wie Stahl. Auf beiden Seiten fielen die rotgelben Felsen steil ab; wir kamen uns ganz klein vor, als wären wir eingeschlossen von Himmel und Stein. Meine Leute arbeiteten konzentriert, ließen nichts aus. Als Filmemacher waren wir alle empfänglich für die Schönheit eines Bildes.
»Wunderbar ist es doch, trotz allem!« hörte ich Thuy Enrique 208
zurufen, und liebte sie dafür. Ich redete wenig bei den Aufnahmen, auch nicht mit Elias. Ich muß Distanz bewahren, sagte ich mir immer wieder. Anders geht es nicht. Am Nachmittag – die Sonne stand bereits schräg – führte uns Elias in eine Nische, hoch wie eine Kapelle, die die Erosion in den Sandstein gegraben hatte. Wir traten hinter ihm in den Schatten; als sich unsere Augen an das Helldunkel gewöhnt hatten, sahen wir, daß das Gewölbe über unseren Köpfen mit Malereien bedeckt war. Wegen der Temperaturschwankungen waren sie in schlechtem Zustand. Die ehemals karminroten und ockergelben Farben waren verwischt; man erkannte sie nur, wenn das Licht – wie jetzt gerade – aus einem bestimmten Winkel in das Innere der Nische weiße Funkengarben warf. Alle Figuren stellten Wassertiere dar: Delphine, Seesterne, Tintenfische, schwimmende Schildkröten. Die größte dieser Schildkröten trug eine Frau mit geringeltem Haar auf ihrem Panzer. Neben ihr schwamm ein pelziges Wassertier – eine Bisamratte –, von der man nur den Kopf und die präzise konturierten Pfötchen sah. Daß die Sahara ursprünglich ein Meer war, das seine Wellen auf die andere Seite Afrikas trug, zu den großen Deltamündungen der Flüsse, war ein unfaßbarer Gedanke.
Enrique brach als erster das verblüffte Schweigen. In der Höhle hörte es sich an, als käme seine Stimme aus widerhallenden Weiten.
»Mich läßt das an Kreta denken, an die Malereien im Palast von Knossos. Aber da sind die Rekonstruktionen ja nicht ganz realitätsgetreu.«
»Das hier war Jahrtausende früher«, erwiderte Elias. »Wir wissen nicht mehr, wie es damals war.«
Ja, dachte ich, die Fäden sind zerrissen. Sich erinnern ist Sinngeben, aber was, wenn die Erinnerung nicht ausreicht? Das Vergessene wurde trostlos, wenn Symbole verfielen und neue Fäden nicht geknüpft werden konnten. Die Tuareg waren nicht imstande, sich zu erinnern, was vor Zeiten hier geschehen war. Es sei denn, als Vision, wenn ihr inneres Auge aufging. Aber das war nicht genug.
»Was bedeutet die Frau auf der Schildkröte, weißt du das?« fragte Thuy.
Elias trat dicht an die Felswand heran.
»Wir haben eine Legende: Einst fiel die Urmutter der Menschheit vom Himmel. Damals gab es keine feste Erde, nur Ozeane. Die Schildkröte kam der Himmelsfrau zu Hilfe und trug sie auf ihrem Rücken. Das war auf die Dauer ein unbequemer Ort. Die Bisamratte 209
aber sprach: ›Laß mich nur machen‹. Sie holte Schlamm aus dem Meeresgrund und bedeckte damit den Rücken der Schildkröte. So entstand die erste Insel, die im Laufe der Zeit die Erde bildete…«
Ob er nicht glaube, fragte ich Enrique, daß die Tuareg einst ein Wasservolk waren?
»Mir sieht es ganz so aus«, sagte er staunend.
Seitdem waren Tausende von Generationen ausgelöscht. Der Ozean war tot, Sand und Gift erstickten die letzte Quelle, den letzten Atemzug. Das Volk aus dem Meer war ein Wüstenvolk geworden, und keine Zeile konnte ihr Geheimnis entschlüsseln.
Ich konnte mit wenig Schlaf auskommen, aber nur für kurze Zeit; nach ein paar durchwachten Nächten war es, als hätte ich einen Schlag auf dem Schädel bekommen. Mein Kopf brummte, ich hatte Mühe, im Gleichgewicht zu bleiben.
»Wir filmen das!« entschied ich. »Schnell, solange Licht in die Höhle fällt.«
Die Strahlen wanderten weiter, färbten sich rosa, erloschen dann. Die Malereien tauchten in die Schatten ein, Trugbilder auch sie. So war das eben. Ich konnte nicht einmal sagen, ob die Aufnahmen gelungen waren. Na schön, wir würden ja sehen. Als wir aus der
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