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Wuestenmond

Wuestenmond

Titel: Wuestenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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›Haben diese Leute nie gesehen, wie die Welt sich dreht?‹ sagte Amenena. ›Hefte deinen Blick auf neue Milchstraßen und laß nicht zu, daß ein einziger Gott dir den Himmel versperrt.‹«
    »Und die Europäer?«
    »Sie sind nicht immer einsichtig; immerhin spüren wir ihren guten Willen. Manche sind romantisch und sentimental, denen spuken Kreuzritter im Kopf herum oder die Helden irgendwelcher Romane.
    Das gefällt uns natürlich sehr; wir wollten schon immer gerne Helden sein.«
    Ich lachte.
    »Sprechen wir noch immer über deine Schule, Elias?«
    »Über nichts anderes, die ganze Zeit. Die Schule, die ich mir vorstelle, wird aus einem einzigen Zelt bestehen. Ich kann es auf einen Maulesel laden, mit den Stämmen umherziehen, jeden Augenblick, in jede Richtung.«
    »Und die Lehrer?«
    »Sie müßten bereit sein zu wandern, sehr weit und sehr oft. Die Lehrer, die ich meine, sollen die Kinder nicht bloß unterrichten. Sie sollten ihre Fragen beantworten, jede Frage. Unsere Schule wird nur 205
    ein Zelt sein; aber in diesem Zelt soll die Welt zu Gast sein. Wir sind ein Teil dieser Welt, das müssen wir erkennen und annehmen. Und wenn es geht, das Beste daraus machen.«
    »Hast du auch an Schulbücher gedacht?«
    »Aber gewiß. Aflane war kein selbstsüchtiger Mensch. Er hat seine Familie nicht im Elend zurückgelassen. Ich habe etwas Geld. Nicht viel, aber ich denke, daß es reichen wird. Ich werde Schulmaterial kaufen, Kugelschreiber und Papier. Und ein paar Schulbücher drucken lassen. In unserer Sprache. Ich will Amenenas Geschichten sammeln, unsere alten Gedichte, unsere tausendjährigen Fabeln. Die Kinder sollen lernen, die Wüste wie einen Garten zu pflegen, auch wenn der Garten von Sekunde zu Sekunde häßlicher wird und schon ganz verdorrt ist. Ich will sie auch nicht von ihrer islamischen Umwelt trennen; sie ist nun einmal da. Sie sollen aber wissen, wer sie sind, und wählen, was besser für sie ist.«
    Er drückte sein Gesicht an meine Kehle. Seine Haut war kühl, mit einem feuchten Film überzogen. Ich fragte:
    »Wie bist du auf die Idee gekommen?«
    »Ich finde sie eigentlich nicht außergewöhnlich.«
    »Ein wenig subversiv?«
    »Das schon. Es könnte sogar sein, daß ich deswegen im Knast lande.«
    »Macht dir das keine Angst?«
    »Doch, ein wenig schon.«
    Wir lagen Gesicht an Gesicht. Elias wußte, was es hieß, ein lebendiger Mensch zu sein und Amenenas Träume einzufangen. Er hatte ein Ziel, das sich langsam in ihm formte, und dieses Ziel war kein Trugbild. Ich blickte zum Mond empor, der jetzt größer und klarer war; in seinem Licht leuchtete der Sand wie Phosphor.
    Mitternacht war längst vorbei. Meine Augenlider zuckten vor Müdigkeit. Und gleichwohl spürte ich eine merkwürdige Kraft in mir; eine Kraft, die von meinem Herzen ausging und mich schwerelos machte.
    »Wir sind uns sehr nahe, Elias. Das ist nicht mehr zu ändern. Und das ist eine Sache, die mich quält.«
    Er warf den Kopf leicht zurück, um mich anzusehen. Sein Gesicht war völlig ruhig, und doch glühte darin ein niedergehaltenes Feuer.
    Leise sagte er:
    »Wir haben ein Sprichwort: ›Mann und Frau sind Freund und Freundin. Für das Auge, für den Geist, für das Herz.‹ Und was wird 206
    aus mir, wenn du nicht zurückkommst?«
    Ich sagte:
    »Du wirst selbst am besten Trost finden.«
    Aber ich wußte, daß es eine Lüge war.
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21. Kapitel
    D ie Aufnahmen in der Höhle waren beendet; am letzten Tag drehten wir nur noch Außenaufnahmen. Ein letztes Mal filmten wir sehr sorgfältig die Ruinen, richteten die Kamera auf die vielen Quadrate, um besondere Stimmungen zu erzeugen.
    »Ursprünglich«, erklärte Elias, »waren alle Häuser rot, orange, gelb, türkisgrün. Und die Felsen auch. Sie waren sozusagen mehrdimensionale Gemälde, eine Symbiose zwischen dem gebauten und dem natürlichen Element. Das alles war ein Werk der Frauen.
    Das jedenfalls sagen die Alten, und man kann ihnen Glauben schenken.«
    »Woher wollen sie das so genau wissen?« fragte Enrique in seiner freundlichskeptischen Art.
    Elias schüttelte gelassen den Kopf.
    »Alte Menschen belasten ihr Gehirn nicht mit unwichtigen Dingen.
    Die Frauen der Qahtan, eines Stammes im Südosten von Saudi-Arabien, beherrschen noch heute diese Kunst. Aber wer hat jemals von ihnen gehört? Männer schweigen das, was Frauen leisten, mit Vorliebe gern tot.«
    Der Wind wehte jetzt stärker, röhrte wie ein Muschelhorn. In der Ferne wirbelte Staub auf. Ich blickte Elias

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