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Wuestentochter

Wuestentochter

Titel: Wuestentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Bryant
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auch nur vorübergehend - von Sulayman trennen zu müssen, in Angst und Schrecken.
    »Geh nur mit ihnen«, beruhigte er sie. »Ich bleibe in deiner Nähe.« Er wandte sich ab, und so entgingen ihm die viel sagenden Blicke, die die Mädchen wechselten. Doch Khalidah bemerkte sie sehr wohl und senkte den Kopf, weil ihre Wangen vor Scham zu brennen begannen.
    Abi Gul, die ihr über ihre Verlegenheit hinweghelfen wollte, zog sie mit sanftem Nachdruck in Richtung des Schlafsaals. »Wer würde nicht gern solche Worte aus dem Mund eines solchen Mannes hören?«, meinte sie trocken, woraufhin erneut unterdrücktes Gekicher erklang.
    »Es ist nicht so, wie du denkst …«, begann Khalidah, doch als Abi Gul die Brauen hochzog, verzichtete sie auf weitere Proteste. Schließlich kam das, was alle vermuteten, der Wahrheit sehr nah.
    Seufzend folgte sie ihr in den Schlafsaal, der jetzt von Mädchen im Alter zwischen zwölf und sechzehn wimmelte. Khalidah hatte am  Morgen fünfundzwanzig Betten gezählt. Auf dem Übungsfeld hatten jedoch ungefähr doppelt so viele angehende Kriegerinnen trainiert.
    »Wo sind denn die anderen?«, fragte sie Abi Gul, die ihre Ausrüstung in einer Nische neben der Tür verstaute.
    »Dies ist nicht der einzige Schlafsaal.« Abi Gul wischte ihr Schwert sorgsam ab, ehe sie es in die Scheide schob und es an einen Haken an der Wand hängte. Khalidah bemerkte, dass ihre eigene Waffe neben ihrem Sattel, ihren Taschen und ihrer Reisekleidung in einer Ecke stand. Alles war gründlich gesäubert worden. Von wem?, fragte sie sich. War es eine lästige Pflicht oder eine Ehre?
    »Insgesamt gibt es vier«, fuhr Abi Gul fort. »Zwei für die Mädchen und zwei für die Jungen. Wir leben bei unseren Familien, bis wir zwölf Jahre alt sind, dann kommen wir hierher.« Khalidah folgte ihr zu einem der Betten, wo Abi Gul sich auszukleiden begann. »Vier Jahre lang bleiben wir hier und widmen uns einzig und allein unserer Ausbildung. Es ist die einzige Zeit in unserem Leben, wo wir nicht auf den Feldern helfen oder die Herden hüten oder uns sonstwie nützlich machen müssen.«
    Sie streifte ein langes Kleidungsstück aus feiner Seide über den Kopf, warf es auf das Bett und stand dann zu Khalidahs äußerster Verlegenheit splitternackt da und legte einen Finger auf die Lippen, als überlege sie, was jetzt als Nächstes zu tun sei. Endlich griff sie nach einem wollenen Gewand, schlüpfte hinein und schlang sich ihre Schärpe um die Taille.
    »Wenn wir sechzehn werden«, schloss sie, »werden wir in unsere erste Schlacht geschickt. Wenn wir mutig und ehrenhaft kämpfen - und wenn wir zurückkehren -, dann sind wir Dschinn.«
    »Und was seid ihr bis dahin?«, erkundigte sich Khalidah.
    Abi Gul zuckte die Achseln. »Kinder.«
    Khalidah dachte darüber nach. Obgleich sie sich aufgrund ihres unverheirateten Status in einer Art Übergangsphase befunden hatte, war  sie von ihrem Stamm als Frau betrachtet worden, seit bei ihr im Alter von zwölf Jahren die Monatsblutung eingesetzt hatte. Als sie Wadi Tawil verlassen hatte, hatten viele ihrer Altersgenossinnen schon zwei Kinder gehabt, und wenn sie ein Junge gewesen wäre, hätte sie bereits als erfahrener ghazi gegolten. Sie versuchte sich auszumalen, was es hieß, sein ganzes Leben an ein und demselben Ort zu verbringen und ihn zum ersten Mal nur zu dem Zweck zu verlassen, in den Kampf zu ziehen. Es musste einen ungeheuren Mut erfordern; einen Mut, von dem sie nicht wusste, ob sie selbst ihn aufbringen könnte.
    »Du bist ja noch angezogen!«, rief Abi Gul erschrocken. Sie griff nach einem anderen Gewand, das an einem Haken neben dem Nachbarbett hing, und reichte es Khalidah. »Komm, sonst haben wir keine Zeit mehr, dein Haar zu waschen.«
    Als Khalidah sich umsah, stellte sie fest, dass der Schlafsaal inzwischen fast leer war. Sie entkleidete sich hastig, hüllte sich in ihr Gewand und schloss sich den anderen an. Die Mädchen strömten hügelabwärts auf ein großes Holzgebäude am Flussufer zu. Aus einem Loch in dem Dach entwichen Rauchwolken. Das Innere war mit Dampf und lachenden, miteinander schwatzenden Mädchen gefüllt. Ihre Kleider hingen an Haken in der Nähe des Eingangs, und sie quiekten und kicherten, während sie sich selbst oder sich gegenseitig die Haare wuschen. Das offenbar vom Fluss hergeleitete Wasser floss durch eine breite Rinne, die sich an der Wand des Gebäudes entlangzog und dann durch eine Öffnung an der anderen Seite wieder ins Freie plätscherte.

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