Wuestentochter
Ältere, nur mit Leinenhemden bekleidete Frauen erhitzten über einem Feuer in der Mitte des Raumes Wasser in großen Kesseln und schöpften es in die Schalen und Krüge, die die Mädchen ihnen hinhielten.
Khalidah hatte bislang mit niemandem außer Zeyneb zusammen gebadet und wand sich angesichts der Vorstellung, sich vor all diesen fremden Frauen entkleiden zu müssen, innerlich vor Scham, was Abi Gul zu spüren schien, denn sie führte sie zu einer ruhigen Ecke, wo sich Ambrenn und Hila eine Wasserschüssel teilten. »Ich hole mehr«, erbot sich Abi Gul, wandte sich ab und überließ Khalidah der Obhut ihrer Freundinnen.
Hila lächelte ihr freundlich zu, Ambrenn nickte nur stumm. Khalidah konnte nicht sagen, ob sie hochnäsig oder einfach nur schüchtern war, beschloss aber, kein vorschnelles Urteil zu fällen, sondern erst einmal abzuwarten. Sie schenkte dem Mädchen ein breites Lächeln, das diese unsicher zurückgab. Also doch nur schüchtern, entschied Khalidah. Diese Erkenntnis machte ihr Mut, sie streifte ihr Gewand ab und hängte es zu den anderen an die Wand. Als sie sich wieder umdrehte, hielt ihr Ambrenn ein Stück Seife hin.
»Wasch dich mit kaltem Wasser«, sagte sie in einem weniger fließenden und stärker akzentbehafteten Arabisch als dem von Abi Gul. »Und spül dich dann mit warmem ab.«
Khalidah nahm die Seife entgegen und ging zu der Rinne mit dem fließenden Wasser hinüber. Sie konnte sich nicht mehr erinnern, wann ein Bad zum letzten Mal ausgiebiger gewesen war als ein rasches Eintauchen in einen eisigen Fluss, und von Seife hatte sie nur träumen können. Also kostete sie den ungewohnten Luxus wonnevoll aus, wusch sich von Kopf bis Fuß und versuchte gerade ohne Erfolg, ihr Haar mit kaltem Wasser auszuspülen, als sich Abi Gul zu ihr gesellte.
»So geht das nicht.« Sie füllte einen Krug halb mit dem heißen Wasser, das sie mitgebracht hatte, und mischte es mit kaltem, bevor sie es über Khalidahs Kopf goss. Das wiederholte sie, bis Khalidahs Haar sauber ausgespült war und das Seifenwasser in den Ritzen des Holzbodens versickerte.
Als sie fertig war, hatte sich Khalidah schon fast an ihre Nacktheit gewöhnt und lauschte Hilas und Ambrenns Unterhaltung, während sie ihr zerzaustes Haar mit einem Kamm entwirrte. Die beiden Mädchen sprachen Paschtu, und je länger sie ihnen zuhörte, desto stärker wurde ihr Gefühl, dass etwas lange Vergessenes wie eine vage Erinnerung an die Oberfläche ihres Bewusstseins drängte. Ein oder zwei Worte schienen die Basis dieses Gespräches zu bilden, und als Abi Gul triefnass und fröstelnd von dem Kaltwasserbecken zurückkam, fragte Khalidah sie nach der Bedeutung dessen, was sie aufgeschnappt hatte. Zur Antwort brach Abi Gul in schallendes Gelächter aus. Sie sagte etwas in raschem Paschtu, woraufhin Hila gleichfalls zu prusten begann, Ambrenn rot anlief und Khalidah sich fragte, was sie denn so Furchtbares gesagt hatte.
»Ich habe ihnen geraten, in deiner Gegenwart darauf zu achten, was sie sagen«, erklärte Abi Gul. »Du hast anscheinend ein gutes Ohr für unsere Sprache. Aghundem heißt ›etwas anziehen‹ und meerre bedeutet wörtlich übersetzt ›Krieger‹, aber in diesem Fall auch ›Gemahl‹. Meine Freundinnen überlegen, wie sie sich heute Abend möglichst vorteilhaft zurechtmachen können, um das Interesse eines potenziellen Ehemannes auf sich zu lenken.«
Die beiden anderen Mädchen erhoben lautstarke Einwände. »Sie muss uns ja für hirnlose Gänse halten!«, empörte sich Hila.
»Ich habe mich mit meinen eigenen Augen davon überzeugen können, dass das ganz und gar nicht zutrifft«, erwiderte Khalidah.
Hila neigte dankend den Kopf und fuhr fort: »Es stimmt, wir haben über die Kleider gesprochen, die wir heute Abend tragen wollen. Ich glaube, es gibt hier kein einziges Mädchen, das nicht darüber spricht - immerhin waren unsere Mütter den ganzen letzten Monat damit beschäftigt, sie für uns anzufertigen.«
»Dann wärt ihr undankbare Töchter, wenn ihr nicht ein wenig damit prahlen würdet.« Khalidah dachte mit plötzlicher Wehmut an das rote Seidengewand, das Zeyneb ihr für ihre Hochzeit geschneidert hatte. Sie fragte sich, was wohl daraus geworden war, verbot sich diese fruchtlosen Überlegungen aber sofort, weil sie ihr nichts als unnötigen Kummer bereiten würden.
»Und dass wir es darauf anlegen, die Augen möglicher Heiratskandidaten auf uns zu lenken, ist auch nur die halbe Wahrheit, wie Abi Gul sehr wohl
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