Wuestentochter
Ungläubigen bezeichnen? Wie kann er etwas anderes als unseren aufrichtigen Respekt verdienen?«
Bilal schwieg; er wusste keine Antwort darauf. Nach einem Moment schüttelte Salim den Kopf. »Ich konnte es nicht mehr ertragen, das grausame Spiel mit anzusehen, das meine Männer mit ihm trieben. Sie verspotteten ihn, zogen seinen Todeskampf bewusst in die Länge, und ich wusste, dass ich sie nicht mehr davon abhalten konnte, sie waren wie von Sinnen. Also machte ich dem Ganzen ein Ende und tötete ihn. Ich spaltete ihm mit meinem Schwert den Schädel, als er mir den Rücken zukehrte. Ich wollte ihn von seinen Qualen erlösen, aber schon in dem Moment, in dem ich zuschlug, wusste ich, dass ich ihn betrogen hatte, denn ich war nicht Gott, sondern in seinen Augen nur ein nichtswürdiger Heide. Und das Schlimmste war, dass ich mein Versprechen dir gegenüber gebrochen hatte …« Er konnte die Tränen nicht länger zurückhalten.
»Komm zu mir«, bat Bilal sanft. Salim gehorchte, rollte sich neben ihm auf der Matratze zusammen und begann wie ein verängstigtes Kind zu schluchzen. Bilal zog behutsam die Decke über ihn. »Keine Angst. Alles wird wieder gut.«
»Nein.« Abgrundtiefe Verzweiflung schwang in Salims Stimme mit. »Nichts wird je wieder gut werden.«
Auch hierauf wusste Bilal keine Antwort, weil er ahnte, dass Salim Recht hatte.
4
»Also gut, Sulayman«, sagte Khalidah, als sie am späten Nachmittag zu der Klause zurückgingen. »Du hast mir eindrucksvoll demonstriert, wozu die Dschinn fähig sind. Aber ich begreife nicht, worin der Sinn einer solchen Kriegerausbildung liegt. Qaf ist nahezu unangreif bar, und abgesehen von den Pferden scheint es hier nicht viel zu geben, was sich zu schützen lohnt. Wozu brauchen sie dann eine Elitearmee?«
Sulayman seufzte. »Genauso gut könntest du fragen, warum die Dschinn überhaupt existieren.«
»Du hast mir versprochen, mir alles zu erklären, sobald wir hier sind«, erinnerte ihn Khalidah. »Und obwohl dieser Tag ausgesprochen interessant und lehrreich war, habe ich noch immer keine Ahnung, wer diese Leute eigentlich sind und was sie von mir wollen.«
»Heute Abend wirst du alles verstehen.«
»Hör auf, in Rätseln zu sprechen.«
»Das tue ich doch gar nicht. Aber glaub mir, im Laufe einer Festnacht der Dschinn erfährst du mehr über sie, als ich dir je erzählen könnte. Außerdem darfst du nicht vergessen, dass ich nicht sehr lange hier war. Du solltest ihnen die Gelegenheit geben, sich dir auf ihre Weise zu offenbaren.«
Ehe Khalidah etwas darauf erwidern konnte, rief jemand ihren Namen. Sie drehte sich um und sah Abi Gul mit ein paar anderen Mädchen auf sich zukommen. Alle waren schweißüberströmt, ihre weißen Gewänder mit Schlamm bespritzt und die Muster auf ihren Gesichtern verschmiert. Sie trugen gepolsterte Lederrüstungen und Metallhelme, hielten Bogen in den Händen, und in ihren Schärpen steckten kurze Schwerter. Nachdem sie gesehen hatte, wie diese Mädchen zu kämpfen verstanden, fühlte sich Khalidah in ihrer Gegenwart unsicher und gehemmt, doch sie registrierte erstaunt, dass sie ihrerseits die jungen Kriegerinnen einzuschüchtern schien. Nur Abi Gul wirkte so ruhig und gelassen wie immer.
»Du hast uns zugeschaut«, stellte sie fest. »Wie fällt dein Urteil aus?«
»Ich war zutiefst beeindruckt«, erwiderte Khalidah aufrichtig. »Ihr stellt selbst die ghuzat meines Vaters in den Schatten.«
Die Mädchen erröteten und begannen verlegen zu kichern. Abi Gul stellte sie Khalidah nacheinander vor. Ambrenn war hochgewachsen und hatte kastanienbraunes Haar; Hila war klein, kräftig, braunäugig und dunkelhäutig; Afshan rosig und und fröhlich und Shahascina eine exquisite Schönheit mit Haar, das so leuchtend gelb schimmerte wie das vieler Franken. Alle hatten goldene Augen, nur die Schattierungen variierten leicht.
»Und das ist Bibi Khalidah«, teilte Abi Gul ihren Freundinnen mit - überflüssigerweise, wie Khalidah fand. Die Mädchen hatten zweifellos bereits ausführlich über ihre Person und den Grund ihrer Anwesenheit hier getuschelt.
»Komm mit uns.« Abi Gul griff nach ihrer Hand. »Es wird Zeit, wir müssen uns fertig machen.«
»Was ist mit Sulayman?« Bei der Vorstellung, mit diesen Mädchen allein gelassen zu werden, wurde Khalidah von Panik erfasst. Unter den Angehörigen ihres Stammes hatte sie nie eine Frau zur Freundin gehabt, und nach ihrer monatelangen gemeinsamen Reise versetzte sie der Gedanke, sich - wenn
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