Wuestentochter
Weile lang nach. Dann meinte sie: »Vielleicht solltest du in dich hineinlauschen, statt zu versuchen, sehen zu wollen.«
»Wie meinst du das?«
Abi Gul sah sie an. Dieses eine Mal war ihr Elfengesicht ernst. »Wenn dich deine Mutter nach Qaf gerufen hat, muss es auch jemanden geben, der dich jetzt zurückruft. Wer kann das sein? Dein Vater vielleicht? Oder deine Kinderfrau?«
»Bilal«, murmelte Khalidah.
Abi Gul nickte, als habe sie mit dieser Antwort gerechnet. »Und weißt du, wo du ihn findest?«
Khalidah dachte erneut an den schönen Ayyubidenprinzen. »Ich glaube schon.«
Abi Gul lächelte. »Dann weißt du alles, was du wissen musst.«
17
Ende Juni wusste Saladin, dass seine Zeit gekommen war. Die Schlachtensaison war herangerückt, und seine Armee würde nie größer noch kampfbereiter sein. Am 24. Juni befahl er bei Tal Tasil eine Truppenparade, und während er mit seinem Gefolge auf dem Hügel stand, marschierte die Armee in voller Truppenstärke an ihnen vorbei. Saladin zählte zwölftausend professionelle Kavalleristen und dreiunddreißigtausend gemeine Soldaten; von dem kaum ausgebildeten murrawiyah bis hin zu den tödlichen Feuertruppen mit ihren Naphtakugeln, den berittenen türkischen Elitebogenschützen und den Beduinen-ghuzat.
»Fünfundvierzigtausend Seelen, die alle darauf brennen, für Allah zu kämpfen«, sagte er danach in seinem Zelt zu seinen umara. »Die Gelegenheit, die sich uns jetzt bietet, kommt vielleicht nie wieder. Meiner Ansicht nach muss die muslimische Armee allen Ungläubigen in einer geschlossenen Schlacht entgegentreten. Wir müssen mit dem Dschihad beginnen, bevor die Männer des Wartens überdrüssig werden.«
Niemand erhob Einwände, also fuhr der Sultan fort: »Wir sind dem Feind schätzungsweise in einem Verhältnis drei zu zwei überlegen - eine gut ausgebildete, fest zusammenhaltende Armee hätte also durchaus eine Chance, uns zu besiegen. Aber die besten fränkischen Ritter sind bei Cresson gefallen, die Barone noch immer entzweit, und Guy ist so chronisch wankelmütig wie eh und je. Die Franken können uns in einer Feldschlacht nicht schlagen, also müssen wir alles daransetzen, sie in eine solche zu verstricken. Es ist Zeit, die Falle mit dem Köder zu bestücken und zu hoffen, dass der Feind danach schnappt.«
»Was für eine Falle?«, fragte Al-Afdhal.
»Was für ein Köder?«, fügte Al-Zahir hinzu.
»Unser eigenes karges, unwirtliches Land und ihre unbeugsame Ritterlichkeit«, erwiderte Saladin.
Und mehr sagte er an diesem Abend nicht, sosehr seine Söhne und seine Befehlshaber ihn auch bestürmten.
Obwohl sich Saladin bezüglich seines endgültigen Planes hartnäckig ausschwieg, ließ er an seinem nächsten Ziel keinen Zweifel. Er wollte den Franken auf eine Weise den Krieg erklären, die sie nicht ignorieren konnten, und so wandte er am 26. seine Armee gen Westen, während die Edelleute in Akkon immer noch heftige Dispute austrugen. Bevor er die Truppen in Marsch setzte, ließ er den Blick über das ungeheure Meer von Soldaten hinter ihm schweifen, hob sein Schwert und donnerte: »Sieg über die Feinde Allahs!« Der Ruf wurde begeistert aufgenommen, und die Schreiber kritzelten pflichteifrig auf ihren Tafeln herum, um für die Nachwelt Worte festzuhalten, deren Echo achthundert Jahre lang mit unverminderter Macht widerhallen würde.
Am ersten Tag erklommen sie die Golanhöhen, auf denen sie die Nacht verbrachten. Am nächsten ließen sie die Hauran-Ebene hinter sich und marschierten am westlichen Rand der Höhen entlang, wo die Hügel allmählich Felsklippen wichen, die steil zum See Genezareth abfielen. Gegen Mittag überschritten sie südwestlich von der Stadt Fiq die Grenze zum Herrschaftsgebiet der lateinischen Staaten. Inzwischen hatten auch alle, die nicht in Saladins Pläne eingeweiht waren, erkannt, dass das Ziel des Sultans nicht die unsichere Grenze zwischen ihrem Land und dem fränkischen Königreich, sondern die weitaus bedeutendere des Jordans war. Der Fluss, an dem Johannes einst Jesus getauft hatte, bildete den Punkt, von dem ab es kein Zurück mehr gab: Sowie die Armee des Sultans ihn überschritt, lagen die beiden Königreiche im Krieg miteinander.
Am späten Nachmittag erreichten die Truppen den Yarmuk und folgten ihm eine Stunde lang, bis Saladin sie wieder Richtung Norden abschwenken ließ und auf den Zusammenfluss des Jordan und des Sees Genezareth zumarschierte. Diese Nacht schlugen sie ihre Zelte in Al-Qahwani
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