Wuestentochter
Lager ausfindig zu machen - geschweige denn, Truppen gegen sie auszuschicken.
Diese blitzartigen Überfälle zählten zu den größten Stärken der muslimischen Armee, und Saladin nutzte sie, um so viel Verwirrung zu stiften wie möglich, bevor er zu seinem endgültigen Schlag ausholte. Aber sie dienten auch noch einem anderen Zweck. Der Sultan musste absolut sicher sein, dass sich der Hauptteil der gegnerischen Armee in Saffuriyya befand, ehe er seine Pläne in die Tat umsetzte, und seine Männer lieferten ihm dank ihrer Streifzüge durch das Umland die gewünschten Informationen.
So rief Saladin am 29. Juni des christlichen Kalenders einmal mehr seine umara zusammen und befahl ihnen: »Brecht eure Zelte ab und haltet euch bereit. Morgen überqueren wir den Fluss.«
Sie überquerten ihn bei der Brücke von Sennabra, was fast einen ganzen Tag in Anspruch nahm. Als die letzten Nachzügler das Wasser hinter sich gelassen hatten, hatte Saladin schon fünf Meilen westlich von Tiberias bei Kafr Sabt seine Zelte aufgeschlagen und die Hauptstraße von dort nach Saffuriyya blockiert. Von seiner jetztigen Position aus konnte er jeden fränkischen Vorstoß abfangen.
In der Zwischenzeit schickte er einen Soldatentrupp nach Tiberias (›Der Köder‹, beschied er jeden knapp, der nach dem Grund dafür fragte) und sandte Kundschafter nach Saffuriyya, um in Erfahrung zu bringen, wie die Franken auf diese Schachzüge reagierten. Salim bat darum, sich ihnen anschließen zu dürfen, und wider besseres Wissen gab der Sultan endlich nach.
»Ich nehme an, du willst Bilal al-Hassani mitnehmen«, sagte er.
»Ohne ihn würde ich nirgendwo hingehen.«
Der Sultan maß seinen Sohn mit einem harten Blick, dann seufzte er. »Salim … versteh das, was ich dir gleich sagen werde, nicht falsch, denn mir ist der Junge auch ans Herz gewachsen, und obwohl ich als treuer Diener Allahs die Natur eurer … äh … eurer Beziehung nicht gutheißen kann …«
Salim unterdrückte ein Lächeln. Es war das erste Mal, dass er seinen Vater nach den richtigen Worten suchen sah. Aber da es ihm nicht gefiel, ihn in solcher Verlegenheit zu sehen, unterbrach er rasch: »Ich verstehe, abatah. Du brauchst nichts weiter zu sagen.«
Wieder seufzte Saladin. »Ich fürchte, das muss ich, obgleich ich es lieber nicht täte. Ich weiß, dass du ihn liebst, Salim, und ich würde euch um nichts in der Welt trennen - aber die Welt selbst ist nicht so verständnisvoll. Du bist der Sohn eines Königs und er der Erbe eines Wüstenscheichs, auch wenn ihm das jetzt vielleicht noch nicht klar ist. Ihr werdet beide eines Tages über euer Volk herrschen, und ein Herrscher muss zum Wohle seiner Untertanen Opfer bringen. Zuallererst und vordringlich werden sie von dir erwarten, dass du Söhne zeugst.« Er brach ab und musterte Salim eindringlich. »Verstehst du mich?«
Salim sah ihn an. Sein Gesichtsausdruck glich dem einer Antilope, die von ihrem Wasserloch auf blickt und die Augen des Jägers auf sich gerichtet sieht. Keine Furcht lag darin, nur Kummer und eine tiefe Resignation. In diesem Moment begriff Saladin, dass er seinem Sohn nichts gesagt hatte, was Salim nicht schon seit langer Zeit wusste, und obgleich er von der Art von Liebe, die Salim bevorzugte, nichts hielt, empfand er so aufrichtiges Mitleid mit ihm, als habe er ihm soeben die Hand seiner auserwählten Braut versagt.
Er versuchte, sich ein Lächeln abzuringen, was kläglich misslang. Doch zu seiner Überraschung streckte der Junge die Arme aus und umarmte ihn, und Saladin wurde plötzlich schmerzlich bewusst, dass er Salim nicht mehr liebevoll berührt hatte, seit er entwöhnt worden war. Doch noch ehe er weiter darüber nachdenken konnte löste sich Salim schon wieder von ihm.
»Danke, abatah«, sagte er.
»Dafür, dass ich die Worte ausgesprochen habe, die du am wenigsten hören wolltest?« Das kam bitterer heraus, als er beabsichtigt hatte.
»Für deine Aufrichtigkeit. Und dafür, dass du mir die Zeit gönnst, die mir mit ihm noch bleibt.«
Der Sultan fuhr sich müde mit der Hand über das Gesicht. »Schon gut, mein Junge. Lass uns nicht weiter darüber sprechen, bis die Zeit kommt … aber ich sollte nicht von der Zukunft sprechen, wenn wir gar nicht wissen, ob es übermorgen überhaupt noch eine für uns gibt. Geh jetzt und hole Informationen über die Franken ein. Und, Salim - ich muss dich ja wohl nicht daran erinnern, dass de Ridefort nach seinem Sohn Ausschau halten wird?«
Salim nickte.
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