Wuestentochter
Khalidah.
»Ich weiß es nicht. Ich ganz bestimmt nicht, aber Nachrichten verbreiten sich in diesem Lager schnell.«
Grimmig stellte sich Khalidah auf einen schwierigen Morgen ein. Sie und ihre Begleiter folgten Bilal durch das Labyrinth von Zelten, bis sie zu dem des Sultans gelangten. Die Zeltklappe war hochgerollt; ein paar Mamluken standen in respektvollem Abstand Wache. Im Inneren saß Salim neben Saladin. Khalidah schritt auf den Eingang zu, ohne den Blick von dem Sultan abzuwenden, der sie seinerseits ebenfalls nicht aus den Augen ließ. Sein Gesicht verriet nicht, was in ihm vorging. Er war kleiner, als sie erwartet hatte, strahlte aber nichtsdestotrotz die Aura eines mächtigen, bedeutenden Mannes aus. Unter seinem gelben Seidengewand trug er ein Kettenhemd, um seinen Helm hatte er einen schimmernden weißen Turban gewunden.
Die Mamluken traten zur Seite und gaben ihnen den Weg frei. Im Zelt verneigten sich die Dschinn vor dem Sultan und nahmen auf seine Geste hin ihm gegenüber Platz. Bilal setzte sich neben Salim. Der Prinz betrachtete sie mit einem kleinen, entschuldigungsheischenden Lächeln, das ihr deutlicher als die steinerne Gelassenheit seines Vaters verriet, was auf sie zukam.
Saladin betrachtete die kleine Gruppe einen Moment lang, dann sagte er: »Seid mir willkommen, Abgesandte der Dschinn.« Seine Stimme klang kühl und höflich, aber völlig ausdruckslos. »Wie ich hörte, wünscht ihr eine Bitte an mich zu richten. Wer spricht für euch?«
»Ich, Herr.« Khalidah schlug ihren Schal aus dem Gesicht zurück.
Der Sultan zuckte kaum merklich zusammen, dann verengten sich seine Augen zu schmalen Schlitzen. »Und du bist …«
»Khalidah, Tochter von Abd al-Aziz al-Hassani und Enkelin von Tor Gul, dem Khan von Qaf.«
Der Sultan runzelte die Stirn. »Du bist also das Mädchen, das am Vorabend seiner Hochzeit fortgelaufen ist und so die Fehde wieder hat aufflammen lassen, die diese Heirat beenden sollte? Weswegen bist du hier?«
»Aus demselben Grund wie du.« Ein scharfer Unterton hatte sich in Khalidahs Stimme geschlichen. Sie fand es empörend, dass der Sultan sich das Recht anmaßte, sie zu verurteilen, obwohl er sie noch gar nicht kannte.
»Um mit Allahs Schwert gegen die Ungläubigen zu kämpfen? Du bist eine Frau - eine Ausgestoßene, wie ich hinzufügen möchte -, und die Dschinn sind Heiden.«
»Das stimmt«, erwiderte Khalidah kalt. »Und soweit ich weiß, warst du einst mehr als froh über die Hilfe einer Frau und Dschinn in einer Person - meiner Mutter, Brekhna bint Tor Gul.«
Der Sultan musterte sie lange, ehe er sagte: »Ehe dieser Morgen verstrichen ist, muss ich einen Weg gefunden haben, um Guy aus seinem Versteck in Saffuriyya zu locken, und ich muss mir überlegt haben, wie ich Lubiyah vor den Franken schützen kann. Ich habe dir diese Audienz nur gewährt, weil mein Sohn, sein Freund und dein Vater, denen ich allen blind vertraue, sich für dich eingesetzt haben.« Khalidah war so überrascht, den Namen ihres Vaters in dieser Aufzählung zu hören, dass ihr die unterschwellige Drohung in der Stimme des Sultans entging. »Also sagt mir jetzt, warum ich mir das Bittgesuch einer Hure und einer Schar von Ungläubigen anhören soll.«
Khalidah war so verblüfft, als habe er ihr einen Schlag versetzt, und dann wallte Zorn in ihr auf. Sie sah, wie Bilal und Salim einen hilflosen Blick wechselten, aber es war Abi Gul, die aufsprang und den Sultan mit vor Wut lodernden Augen anfunkelte. Die Mamluken umringten sie sofort mit gezückten Speeren, aber sie achtete nicht darauf.
»Wie kannst du es wagen!«, fuhr sie Saladin an. »Ist dir nicht klar, dass diese Frau die Prinzessin meines Volkes ist - der Abkömmling einer königlichen Linie, die sich bis zum Beginn der Zeit zurückverfolgen lässt?«
Der Sultan hob die Brauen. Ein verächtliches Lächeln spielte um seine Lippen. »Wer ist denn dein so gerühmtes Volk? Und wer bist du, dass du dir anmaßt, hier die Stimme zu erheben?«
»Mein Volk ist mindestens so alt und ebenso angesehen wie das deine«, fauchte Abi Gul. »Und ich bin stolz darauf, zu ihm zu gehören!«
»Was nichts anderes heißt, als dass deine Leute sowohl körperlich als auch moralisch außergewöhnlich schwach sein müssen, wenn sie es nötig haben, schon kleine Mädchen zu Kriegern zu machen.«
Khalidah blieb noch Zeit, um zu erkennen, was Abi Gul vorhatte, aber nicht mehr, um sie zurückzuhalten. Mit einer blitzschnellen Bewegung duckte sie sich unter
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