Wuestentochter
Schwerter abzuwehren, und bezweifelte, dass es ihr gelungen war, auch nur einen von ihnen ernsthaft zu verwunden. Doch allmählich spürte sie, dass sich wie beim Kampf gegen Tripolis’ Vorhut an diesem Morgen das Blatt zu wenden begann, und es wendete sich gegen die Franken.
Während einer kurzen Verschnaufpause blickte sie auf. Vor ihr flatterten die rotgoldenen Banner der Franken, dahinter zitterte das Zelt des Königs im Wind wie das Herz eines Feiglings. Dazwischen blitzte etwas auf, was sich bei näherer Betrachtung als die goldene Reliquie entpuppte. Sie schwebte einen Moment lang über den Bannern, dann schwankte sie wie trunken zur Seite und verschwand im Meer der Kämpfenden.
»Hast du gesehen, was eben …«, begann Abi Gul ungläubig.
»Allerdings«, unterbrach Khalidah sie schroff. Und was viel wichtiger war - die Franken hatten es ebenfalls gesehen. Viele warfen sofort ihre Waffen weg und rannten zu der Stelle, wo das Kreuz gefallen war. Doch sie würden es nicht finden - das wusste Khalidah mit ebensolcher Gewissheit, wie sie wusste, dass sie Sandara nie wiedersehen würde.
Wenn sie später an diesen Kampf zurückdachte, begriff Khalidah, dass die Muslime in dem Moment gesiegt hatten, als das Kreuz gefallen war. Im Augenblick aber war die Lage noch nicht durchschaubar. Nach dem Verlust der Reliquie und der darauf folgenden Verwirrung formierten sich die Frankenritter, deren Pferde noch am Leben waren, zwischen den Hörnern neu und führten zwei gegen die Verbindungslinie zwischen der rechten und mittleren muslimischen Division gerichtete Gegenangriffe durch. Sie wussten, dass ihre einzige Chance jetzt nur noch darin bestand, Saladin selbst gefangen zu nehmen, und tatsächlich kamen sie ihm ein Mal so nah, dass die Männer rings um ihn herum ihre Offensive abbrachen, um einen schützenden Ring um ihn zu bilden. Doch Saladin befahl ihnen ärgerlich, ihre Positionen unverzüglich wieder einzunehmen.
Kurz darauf blies die muslimische Kavallerie am Westhang erneut zum Angriff. Diesmal gelang es ihr, den Feind vom Sattel zwischen den Hörnern herunterzutreiben. Al-Afdhal, der das Geschehen zusammen mit seinem Vater vom Tal aus verfolgte, begann zu strahlen. »Sieh nur! Wir haben gesiegt!«
»Sei still!«, fuhr Saladin ihn grollend an. »Wir haben erst gesiegt, wenn das rote Zelt des Königs gefallen ist, und wie du siehst, steht es immer noch!«
Auf dem Hügel waren die umara zu demselben Schluss gekommen. »Auf das südliche Horn!«, befahlen sie ihren Männern. »Reißt das Zelt nieder - ergreift den König!«
Die Muslime rückten auf den flachen Gipfel vor, wo die letzten berittenen Franken ihnen mit dem Mut verlorener Seelen entgegentraten. Der heiße Wind fegte über die Kuppe hinweg, die Sonne brannte erbarmungslos vom Himmel, und Khalidah kam sich vor, als sei sie in einen Alptraum geraten. Auf dem Hügel drängten sich so viele Menschen, dass sie sich kaum zu bewegen vermochte. Sie konnte an kaum etwas anderes denken als an die sengende Hitze und ihre eigene Erschöpfung. Manchmal tauchten vertraute Gesichter wie Geister vor ihr auf und verschwanden im nächsten Moment wieder. Dort war Bilal, der zu Fuß kämpfte und dem Blut über das Gesicht lief, und neben ihm Salim, dessen gelbes Gewand in Fetzen an ihm hing und dessen langes Haar mit Schweiß oder vielleicht auch Blut getränkt war. Da war Abi Gul, die sich mit einer Hand an Tufans Mähne festklammerte und mit ihrem Schwert auf einen schwarz gekleideten Hospitaliter einhieb, der doppelt so groß war wie sie selbst. Sie sah kämpfende Dschinn und tote Dschinn, die unter Zahirahs Hufe gerieten, nahm aber beides nur wie im Nebel wahr. Einmal meinte sie sogar, einen Blick auf Sulayman erhascht zu haben, aber dabei musste es sich um eine Halluzination gehandelt haben, denn über seinen weißen Dschinn-Hosen hatte er etwas getragen, was wie eine gelbe Ayyubidentunika ausgesehen hatte.
Eine Zeit lang ließ sie sich vom Kampfgetümmel mitreißen; einmal hierhin, einmal dorthin treiben. Dann geriet plötzlich etwas Rotes in ihr Blickfeld. Es dauerte einen Moment, bis sie begriff, dass es sich um das Zelt des Königs handelte und sie es schon fast erreicht hatte. Im nächsten Augenblick wurde sie erneut angegriffen, aber sie vermochte jetzt wieder klar zu denken. Sie blickte nach unten, stellte fest, dass ihr Gegner ein unberittener Ritter war, hieb auf seinen erhobenen Schwertarm ein und riss Zahirah herum, als er vor Schmerz brüllend
Weitere Kostenlose Bücher