Wuestentochter
»Aber ich nehme an, sie stammen von den Dschinn selbst.«
»Willst du damit sagen, sie erfinden Legenden über sich selbst und verbreiten sie dann auf den Basaren?«
»Ich glaube nicht, dass sie das nötig haben. Wenn du zum Beispiel hier auf einen von ihnen treffen würdest, würdest du - vorausgesetzt, du überlebst die Begegnung, denn sie treten nur in Erscheinung, wenn sie töten wollen - von ihm nicht mehr sehen als eine Staubwolke von der Höhe eines Mannes zu Pferde. Bis diese Wolke sich verzogen hat, ist der Reiter längst verschwunden, und bis du die nächste Stadt erreichst, kann er sich in deiner Erinnerung sehr leicht in einen Dämonen aus Rauch verwandelt haben. Du erzählst anderen davon, und je länger diese Geschichte von Mund zu Mund geht, umso farbiger wird sie ausgeschmückt. Und wer sollte sie richtigstellen? Ganz sicher nicht die Dschinn selber, sie ziehen es vor, wenn die Leute sie fürchten und meiden.«
»Aber warum?«
Sulayman zuckte die Achseln. »Warum hält das Volk deines Vaters an seinem Land und seinen Traditionen fest?«
Khalidah seufzte. »Ich meine, wieso bevorzugen die Dschinn ein Leben in der Abgeschiedenheit? Du sagtest, sie sind große Krieger, aber was nutzt ihnen das? Für wen oder was kämpfen sie? Bestimmt nicht, um Qaf zu schützen - nicht, wenn es so abgelegen liegt, wie du sagst.«
Sulayman schüttelte den Kopf. »Qaf ist ihr Refugium, und sie haben dafür gesorgt, dass das auch so bleibt. Nein, die Dschinn sind hauptsächlich Mudschaheddin.«
»Aber es sind doch Ungläubige!«
»Vielleicht, aber sie verehren ihre eigenen Götter und kämpfen nur, wenn sie meinen, diese Götter würden es von ihnen verlangen.« Als er Khalidahs zweifelnde Miene sah, seufzte er. »Es ist schwierig, das alles jemandem zu erklären, der die Dschinn nie kennen gelernt hat. Ich kann nur sagen, dass sie auf ihre Weise ebenso fromm sind wie du und im Grunde genommen stets nur für das Gute kämpfen.«
»Für das Gute?« Khalidah durchbohrte ihn mit einem durchdringenden Blick. »Und was soll denn Gutes daraus entstehen, dass du mich zu ihnen bringst?«
»Was wäre denn Gutes daraus entstanden, wenn du deinen Vetter geheiratet hättest?«
»Wenn ich je eine Ausflucht gehört habe, dann jetzt!«
Sulayman sah sie müde und ein wenig traurig an. »Seit ich Qaf zum ersten Mal gesehen habe, hat es in meinem Leben sehr viele Möglichkeiten und sehr wenig Sicherheit gegeben«, entgegnete er. »Ich finde all das auch äußerst seltsam, Khalidah, und ich weiß selbst nicht viel mehr als du. Aber eines steht fest: Dein Großvater ist ein guter und weiser Mann - der verzweifelt nach dir sucht.«
Khalidah sog zischend den Atem ein. »Nun gut, belassen wir es dabei.« Sie hielt einen Moment inne, dann fragte sie: »Woher hast du eigentlich gewusst, dass ich auf dich hören würde?«
»Bitte?«
»An dem Morgen, an dem du mich gebeten hast, in alles einzuwilligen, was man von mir verlangt - woher wusstest du, dass ich deinem Rat folgen würde? Ich hätte dich ja auch beschuldigen können, mich zu belästigen.«
Er schüttelte lächelnd den Kopf. »Es war ein Schuss ins Blaue … oder eine große Dummheit, wenn man so will. Du hättest auch schreien oder in Ohnmacht fallen können.«
»Ich schreie nie«, gab Khalidah indigniert zurück. »Und ohnmächtig bin ich nur ein Mal in meinem Leben geworden, und das auch nur, weil Bilal und ich gewettet haben, ob wir den ganzen Tag laufen können, ohne etwas zu trinken.«
Sulayman lachte. »Nun, du hättest mich ja auch der Hexerei bezichtigen und meinen Kopf auf einem Silbertablett fordern können.«
»Warum bist du dann ein solches Risiko eingegangen?«
»Ich sagte doch schon - es ging um Leben und Tod.«
Und wenn ich gestorben wäre, hättest du Qaf verloren, dachte Khalidah mit einem Anflug von Enttäuschung, den sie sich selbst nicht erklären konnte. Um diesen Gedanken nicht weiter verfolgen zu müssen sagte sie: »Sulayman, würdest du mir einen Gefallen tun?«
Er hob die Brauen. Ein leises Lächeln spielte um seine Lippen. »Jeden, sofern es in meiner Macht steht.«
Khalidah funkelte ihn an. »Ich möchte, dass du mir Lesen und Schreiben beibringst.«
Sulayman sah sie überrascht an. »Damit habe ich nun nicht gerechnet.«
Khalidah überlegte, was er wohl erwartet hatte, mochte ihn aber nicht fragen. »Nun? Bringst du es mir bei?«
»Wenn du das willst?«
Sie wartete darauf, dass er anfing. Als er keine Anstalten dazu machte, deutete
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