Wuestentochter
seines eigenen Lebens. Numair beobachtete mit einem bösen Lächeln, wie er mit sich rang. Dann sagte er: »Jetzt hör gut zu, und merk dir alles genau …«
De Maillys Gesicht schimmerte im Schein des vollen Mondes wie Marmor, das Kreuz auf seinem Mantel wie kalte Asche. Er stand neben seinem Pferd und spielte mit einer Hand abwesend mit der Mähne des Tieres, während er Bilals Botschaft lauschte.
»Sind das schlechte Neuigkeiten?«, fragte Bilal, als der Ritter auch nach dem Ende seines Berichts beharrlich schwieg.
De Mailly blickte mit einem matten Lächeln zu ihm auf. »Ich weiß es nicht. Du sagst, Saladin beabsichtigt, Truppen nach Tiberias zu führen, um Graf Tripolis’ dortigen Garnisonen den Rücken zu stärken - bist du absolut sicher, dass diese Information korrekt ist?«
»Ich kann nur wiedergeben, was man mir gesagt hat. Warum, Messire? Was hat es zu bedeuten?«
De Mailly runzelte die Stirn. »Erklärt dir dein Vetter denn gar nichts?«
»Nur wenn es ihm passt«, erwiderte Bilal.
»Was vermutlich nicht sehr oft der Fall ist.« Unüberhörbare Verachtung schwang in de Maillys Stimme mit. »Dann werde ich es an seiner Stelle tun. Du weißt sicher, dass die lateinischen Staaten zurzeit in zwei Lager gespalten sind - in das der Anhänger König Guys und das derer des Grafen Tripolis. Tripolis ist der Meinung, dass Guy die Krone zu Unrecht trägt. Das entspricht der Wahrheit, denn der verstorbene König hat, als er das Kind seiner Schwester zu seinem Nachfolger bestimmte, gleichzeitig verfügt, dass der Papst einen Thronerben auswählen sollte, falls dieses Kind vor Eintritt der Volljährigkeit stirbt. Viele glauben aber auch, dass der Grund für den Streit zwischen Tripolis und Guy eher darin zu suchen ist, dass der Graf die Krone selbst an sich reißen will.
Welche von diesen Theorien auch immer zutreffen mag - ein gespaltenes Königreich kann Saladin keinen Widerstand entgegensetzen, und im Moment können die Edelleute Jerusalems von nichts anderem reden als davon, wie sie Tripolis dazu bringen können, Guy als Herrscher anzuerkennen.« De Mailly hielt inne und seufzte. »Kerak und mein Großmeister sprechen sich dafür aus, Tripolis mittels militärischer Gewalt zu unterwerfen. Die Barone setzen auf Diplomatie. Aber welchen Weg sie auch einschlagen … wenn sie versagen, laufen wir Gefahr, Jerusalem zu verlieren. Und wenn Tripolis auf die Hilfe des Sultans zählen kann, was ja deinen Informationen zufolge der Fall ist, dann werden sie unterliegen.«
»Und was denkt Ihr, Messire?«
Wieder seufzte de Mailly. »Wen interessiert das? Niemand fragt nach den Ansichten des Marschalls der Templer - nur nach denen ihres Großmeisters.«
»Ich frage danach.«
De Mailly stutzte verwirrt, dann belohnte er Bilal mit einem Lächeln. »In der Tat. Nun dann … ich halte Tripolis für den bei weitem besten Staatsmann in Outremer, aber er ist auch ein Idealist. Sein Wunsch nach einer Aussöhnung mit den Sarazenen zeugt von edler Gesinnung, dürfte sich aber schwerlich verwirklichen lassen.«
Bilal sah dem Ritter in das sorgenvolle Gesicht. Es widerte ihn an, dass dieser Mann nicht ahnte, dass er ausgerechnet von seinem Herrn, dem er so treu diente, hintergangen wurde. Weich fragte er: »Glaubt Ihr, die Anhänger unserer beiden Glaubensrichtungen werden nie in Frieden miteinander leben können?«
De Maillys Lächeln wurde traurig. Sacht berührte er Bilals Wange. »Vielleicht wird es irgendwann einmal möglich sein. Aber wir müssen erst lernen, in Frieden mit unserem eigenen Volk zu leben. In diesem Punkt scheint der Sultan schon Erfolge vermelden zu können, wohingegen unsere Könige bislang versagt haben. Ich hoffe nur, dass wir nicht gezwungen werden, das Blut der Unseren zu vergießen, damit es endlich zu einem Gefühl des Zusammenhalts unter den Christen kommt.«
Halb zu sich selbst murmelte Bilal: »Ich wünschte, alles wäre anders gekommen.«
»Das wünsche ich mir auch.«
»Wenn ich nur irgendetwas tun könnte …«
De Mailly, der diese Bemerkung missverstehen musste, lächelte. »Tapferer Junge … aber ich fürchte, das steht nicht in deiner Macht. Dein Vetter scheint allerdings diese Entwicklung der Dinge vorhergesehen zu haben. Wie ich hörte, ist er zu dem Treffen mit dem Sultan, das de Ridefort für ihn arrangiert hat, nicht erschienen. Was hat ihn denn davon abgehalten?«
»Was hält ihn nicht von allem ab, was wichtig ist?«, zischte Bilal. Doch als ihm bewusst wurde, wie vorlaut
Weitere Kostenlose Bücher