Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wunder

Wunder

Titel: Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R.J. Palacio
Vom Netzwerk:
Ich war an diese Hausaufgaben-Sache nicht gewöhnt. Und am Ende des Monats sollte mein erster Test stattfinden. Als ich noch von Mom zu Hause unterrichtet wurde, musste ich nie Tests schreiben. Außerdem gefiel es mir gar nicht, dass ich überhaupt keine freie Zeit mehr hatte. Vorher hatte ich immer spielen können, wenn ich Lust dazu hatte, aber jetzt kam es mir so vor, als hätte ich ständig irgendwas für die Schule zu tun.
    Auch die Schule selbst war anfangs schrecklich. Jedes neue Fach bedeutete eine neue Gelegenheit für Mitschüler, mich »nicht anzustarren«. Sie warfen mir verstohlene Blicke hinter ihren Schulbüchern zu oder wenn sie glaubten, dass ich nicht hinsah. Sie machten große Umwege um mich herum, um nur nicht gegen mich zu stoßen, als hätte ich irgendeinen Bazillus, den sie sich hätten einfangen können. Als wäre mein Gesicht ansteckend.
    In den ständig überfüllten Fluren überraschte mein Gesicht immer irgendeinen nichts ahnenden Schüler, der vielleicht noch nichts von mir gehört hatte. Der machte dann immer das Geräusch, das man beim Luftholen von sich gibt, bevor man unter Wasser taucht, ein kleines »Hu!«. Das passierte in den ersten paar Wochen bestimmt vier oder fünf Mal am Tag: auf den Treppen, vor den Schließfächern, in der Bibliothek. Sechshundert Kinder in der Schule – irgendwann würde jeder von ihnen mein Gesicht gesehen haben. Und nach den ersten paar Tagen war mir dann auch klar, dass sich die Nachricht von meiner Anwesenheit verbreitet hatte, denn immer mal wieder bemerkte ich, wie ein Schüler einen anderen mit dem Ellbogen anstieß, wenn sie an mir vorbeikamen, oder wie sie hinter vorgehaltenen Händen miteinander redeten, wenn ich an ihnen vorbeiging. Ich kann mir nur vorstellen, was sie über mich sagten. Aber eigentlich ist es mir lieber, es mir nicht vorzustellen.
    Ich behaupte übrigens nicht, dass irgendetwas davon in böser Absicht geschah: Nicht ein einziges Mal lachte jemand oder machte Geräusche oder so was. Es waren bloß normale, dumme Kinder. Ich weiß das. Am liebsten hätte ich ihnen das irgendwie auch gesagt. So nach dem Motto: Es ist schon okay, ich weiß, dass ich komisch aussehe, guckt mich ruhig an, ich beiße nicht. Hey, in Wahrheit ist es doch so, wenn ein Wookiee ganz plötzlich hier zur Schule gehen würde, wär ich auch neugierig, und ich würde ihn wahrscheinlich auch ein wenig anstarren. Und wenn ich mit Jack oder Summer an ihm vorbeigehen würde, dann würd ich ihnen wahrscheinlich zuflüstern: Hey, da ist der Wookiee. Und wenn der Wookiee das merken würde, dann würde er wissen, dass ich nicht gemein sein wollte. Ich würde dann eben bloß auf die Tatsache hinweisen, dass er ein Wookiee ist.
    Es dauerte etwa eine Woche, bis sich die Kinder in meiner Klasse an mein Gesicht gewöhnt hatten. Es waren die Kinder, mit denen ich jeden Tag alle meine Fächer gemeinsam hatte.
    Beim Rest der Schüler in meinem Jahrgang dauerte es etwa zwei Wochen, bis sie sich an mein Gesicht gewöhnt hatten. Das waren die Kinder, die ich in der Cafeteria sah, auf dem Pausenhof, in Sport, in Musik, in der Bibliothek und in Informatik.
    Bei allen übrigen in der gesamten Schule dauerte es etwa einen Monat. Das waren die Schüler der anderen Jahrgangstufen. Es waren ältere Schüler. Einige trugen verrückte Frisuren. Einige von ihnen hatten Nasenpiercings. Einige hatten Pickel. Keiner von ihnen sah aus wie ich.

Jack Will
     
    Mit Jack hing ich in Homeroom, Englisch, Geschichte, Informatik, Musik und Naturwissenschaft ab, denn das waren die Fächer, die wir gemeinsam hatten. Die Lehrer wiesen uns immer die Sitzplätze zu, und ich saß immer neben Jack, also nahm ich an, dass sie entweder dazu aufgefordert worden waren, Jack und mich nebeneinander zu setzen, oder dass es ein total unglaublicher Zufall war.
    Ich ging auch gemeinsam mit Jack zu den Unterrichtsräumen. Ich weiß, dass ihm auffiel, wie die anderen mich anstarrten, aber er tat so, als würde er es nicht bemerken. Einmal jedoch, auf unserem Weg zur Geschichtsstunde, knallte so ein riesiger Achtklässler, der die Treppe heruntergeschossen kam und immer zwei Stufen gleichzeitig nahm, versehentlich gegen uns und riss mich zu Boden. Als der Typ mir beim Aufstehen half, fiel ihm plötzlich mein Gesicht auf, und obwohl er es nicht wollte, entfuhr ihm ein: »Whoa!« Dann klopfte er mir auf die Schulter, als würde er mich abstauben wollen, und rannte hinter seinen Freunden her. Aus irgendeinem Grund mussten

Weitere Kostenlose Bücher