Wunder

fallen meine ticks auf. olivia ist ein mädchen, dem alles auffällt.
    während des gesamten abendessens reden und lachen wir. olivias eltern fragen mich nach meiner musik, wie ich zum geigenspiel gekommen bin und all so was. und ich erzähle ihnen, dass ich früher klassische violine gespielt habe, aber dann auf folk-musik aus den appalachen gestoßen bin und dann auf zydeco. und sie hängen an meinen lippen, als würde es sie echt interessieren. sie sagen, ich soll ihnen bescheid sagen, wenn meine band den nächsten gig hat, damit sie kommen können.
    ich bin an so viel aufmerksamkeit nicht gewöhnt, um ehrlich zu sein. meine eltern haben keine ahnung, was ich mit meinem leben anstellen will. sie fragen nie. wir unterhalten uns nie auf diese art. ich glaube, sie wissen nicht einmal, dass ich meine barockvioline vor zwei jahren gegen eine achtsaitige hardangerfiedel ausgetauscht habe.
    anschließend gehen wir zu ihnen nach hause, um noch ein eis zu essen. ihr hund begrüßt uns an der tür. ein alter hund. super süß. er hat sich allerdings über den gesamten hausflur übergeben. olivias mom beeilt sich, krepppapier zu holen, während ihr dad den hund hochhebt, als wäre er ein baby.
    was ist denn los, altes mädchen?, sagt er, und der hund ist selig, die zunge hängt ihm raus, der schwanz wedelt, und die läufe hängen komisch abgewinkelt in der luft.
    dad, erzähl justin, wie du daisy bekommen hast, sagt olivia.
    ja!, sagt auggie.
    ihr dad lächelt und setzt sich auf einen stuhl, wobei er den hund immer noch in den armen wiegt. offensichtlich hat er die geschichte schon viele male erzählt, und alle lieben sie total.
    ich komm also eines abends von der u-bahn nach hause, sagt er, und so ein obdachloser, den ich noch nie vorher hier im viertel gesehen hatte, schiebt so eine zerzauste promenadenmischung in einem kinderwagen vor sich her, und er kommt auf mich zu und sagt: hey mister, wollen sie meinen hund kaufen? und ohne noch darüber nachzudenken, sage ich: klar, wie viel wollen sie denn für ihn haben? und er sagt: nen zehner. also geb ich ihm die zwanzig dollar, die ich in meiner brieftasche habe, und er reicht mir den hund. justin, ich sag dir, in deinem ganzen leben hast du noch nie etwas gerochen, das so übel war! sie hat so sehr gestunken, das kann ich dir gar nicht beschreiben! also hab ich sie von hier aus direkt zum tierarzt unten an der ecke mitgenommen und danach mit nach hause.
    ohne mich vorher anzurufen übrigens, wirft die mutter ein, während sie den boden sauber macht. ohne mal nachzufragen, ob ich damit einverstanden bin, dass er hier den hund von irgend so einem obdachlosen anschleppt.
    daisy schaut dabei direkt zu ihr hinüber, als würde sie alles verstehen, was über sie gesagt wird. sie ist ein glücklicher hund, und man könnte meinen, dass sie genau weiß, dass sie an dem tag, als ihr diese familie über den weg gelaufen ist, einen glückstreffer gelandet hat.
    irgendwie verstehe ich genau, wie ihr zumute sein muss. ich mag olivias familie. hier wird so viel gelacht.
    meine familie ist ganz und gar nicht so. meine mom und mein dad haben sich scheiden lassen, als ich vier war, und man kann wohl sagen, dass die beiden sich hassen. ich bin so aufgewachsen, dass ich die eine hälfte jeder woche im apartment von meinem dad in chelsea verbrachte und die andere hälfte bei meiner mom in brooklyn heights. ich habe einen halbbruder, der fünf jahre älter ist als ich und kaum weiß, dass ich existiere. solang ich mich erinnern kann, hatte ich immer das gefühl, dass meine eltern kaum den moment abwarten konnten, an dem ich alt genug sein würde, um auf mich selber aufzupassen. »du kannst selbst zu dem laden gehen.« »hier ist der schlüssel zum apartment.« es ist komisch, aber es gibt eltern, die ihre kinder zu sehr verwöhnen und beschützen, aber meine wären wohl eher das gegenteil. was sind sie? gleichgültig? selbstbezogen? faul? von allem etwas.
    in olivias familie sagen alle immerzu »hab dich lieb« zueinander.
    ich kann mich nicht daran erinnern, wann jemand in meiner familie das zum letzten mal zu mir gesagt hätte.
    als ich dann irgendwann nach hause gehe, sind all meine ticks verschwunden.

Unsere kleine Stadt
     
    in diesem frühjahr führen wir an der schule das stück unsere kleine stadt auf. olivia hat mich ermutigt, mich für die hauptrolle, den spielleiter, zu bewerben, und irgendwie hab ich sie dann auch bekommen. reines glück. hatte noch nie eine hauptrolle. ich sage