Wunderbare Fahrten und Abenteuer der kleinen Dott
Gestalt.
Der Arzt starrte verständnislos auf das
struppige Ungeheuer in seiner Stube, das sich nun auf die Seite wälzte und ihn
mit halberloschenen Augen anblickte.
»Würden Sie wohl bitte der armen Uff
helfen?« sagte eine zaghafte Stimme neben ihm. »Ich habe sie den ganzen Weg bis
hierher getragen. Ich glaube, sie ist sehr krank.«
»Das also ist Uff!« sagte der Doktor.
Er schloß die Tür und kniete neben dem Vogel nieder. Als er ihr eiterndes,
zerschundenes Bein gesehen hatte, fuhr er schnell in seinen weißen Kittel und
nahm aus seinem Arztköfferchen ein Wachstuch heraus, das er über dem
Schreibtisch ausrollte, dazu einige Mullbinden, ein Fläschchen und ein Etui mit
Messerchen.
»Erzähle mir, wie du zu dem Vogel
gekommen bist«, befahl er kurz.
Und während der Arzt das Bein der
Großeule mit einer Flüssigkeit auswusch und mit einer Mullbinde verband,
erzählte ihm Dott alles, was sie von Uffs Gefangenschaft wußte. Je weiter sie
aber erzählte, um so freundlicher wurde das Gesicht des Doktors, und als Dott
über die Befreiung Uffs berichtete, schlug er sich auf die Knie vor Freude.
»Das hast du gut gemacht!« rief er, »du
bist ja ein Prachtmädel!« Und als er seine Arbeit beendet hatte, sagte der
Arzt: »Ich glaube, deiner Uff fehlt jetzt nichts mehr als eine kräftige
Nahrung.«
Als es klopfte, sprang er an die Tür.
»Frau Conradi? Sie wollen mich zum Essen rufen? Holen Sie mir doch bitte
währenddessen ein Pfund rohes Fleisch beim Schlachter!« Und zu seinem Besuch
sagte er: »Nun rasch ins Nebenzimmer, kleine Dott! Da sollst du dich einmal
wieder richtig sattessen. Und vorher kannst du dich hier noch waschen.«
Das war ein Mahl für Dott! — Braten und
Kartoffeln, duftige Salatblätter, Erdbeeren mit Sahne! Das schönste aber war,
daß der gute Doktor neben ihr saß und ihr immer wieder etwas Leckeres zuschob
und ihr lächelnd zunickte.
Der Herr Doktor aber glaubte plötzlich
zu träumen, als er Messer und Gabel allein auf dem Teller arbeiten sah und
beobachtete, wie sie zusammen mit den Bissen in der Luft verschwanden, sobald
sie vom Teller hochgehoben wurden, denn es wurde ja alles unsichtbar, was Dott
frei in die Luft hob.
Vor den Augen des Doktors rührte der
Teelöffel allein in der Tasse herum und verschwand dann zusammen mit der Tasse
in der Luft, um gleich wieder zu erscheinen, sobald die Tasse auf den Tisch
gestellt wurde. Es war ein geisterhaftes Mahl, wie so nach und nach die
Schüsseln und Teller leer wurden, ohne daß der Doktor sehen konnte, wohin die
Dinge gerieten, und er mußte sich sehr zusammennehmen, um nicht plötzlich laut
zu lachen oder vor Entsetzen davonzulaufen!
»Da habe ich mich ja in eine sonderbare
Geschichte eingelassen«, dachte er etwas besorgt. »Es gehört doch mehr Mut
dazu, dem Unsichtbaren und Wunderbaren gegenüberzustehen, als der
schrecklichsten Wirklichkeit, die wir erkennen können!«
Wie er aber ein wenig mit geschlossenen
Augen nachdachte, fühlte er, wie der Schrecken in ihm nachließ. Mit
geschlossenen Augen streckte er der Kleinen seine Hand entgegen und sagte zu
ihr: »Willst du mir deine Hand geben, mein Kind, und einmal ganz nahe an mich
herankommen?« — Immer noch hielt er die Augen geschlossen, als er die Kleine an
sich heranzog und gütig über ihr Haar und ihre Wangen strich. »Wo unsere
äußeren Augen nichts sehen«, sagte er lächelnd, »da müssen wir mit unseren
inneren Augen schauen.«
Und solange der Doktor mit der Kleinen
sprach, schloß er wieder und wieder die Augen, um ihre Gegenwart zu spüren.
Während des Mahles aber mußte Dott dem
Arzt alles erzählen — wie ihre Verwandlung vor sich gegangen und was ihr auf
der Reise begegnet war.
»Die Rennefarre im Schuh!« rief er, als
sie geendet hatte, indem er vor Erregung im Zimmer auf und ab ging. — Plötzlich
aber blieb er wieder vor Dott stehen. — »Aber du bist ja ein Glückskind!« sagte
er. »Weißt du denn, daß du all das erlebst, nach dem wir uns in unsern kühnsten
Träumen sehnen? Die Natur öffnet ihre Geheimnisse vor dir, die Vergangenheit
enthüllt sich dir, die Geister der Wälder und Seen halten Zwiesprache mit dir,
du wirst allen Geschöpfen zur Bruderseele!«
Es klopfte. Mit einem Satz war der Doktor
vor dem Türspalt, um ihn mit seiner kurzen, stämmigen Gestalt zu verdecken, als
Frau Conradi die Tür öffnete.
»Hier ist das Fleisch«, sagte sie
unwirsch und reichte dem Doktor ein Stück Ochsenfleisch auf einem flachen
Teller.
»Rohes
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