Wunderbare Fahrten und Abenteuer der kleinen Dott
ich auf deinem Rücken sitzen
kann, wenn du fliegst, und daß mir als Nahrung Beeren und Pilze genügen. Und«,
hier zögerte sie ein wenig, »und du sollst auch immer die Freiheit haben, mich
zu verlassen, wann du willst.«
Dott öffnete nun ihren Beutel und nahm
den dritten und letzten Grashalm heraus. — »Damit du siehst, daß es wirklich so
sein kann, wie ich sage, will ich jetzt gleich, hier vor dir, so klein werden,
daß du mich bequem tragen kannst«, sagte sie eifrig. Denn das war es, was sie
sich ausgedacht hatte. Einen Augenblick noch überlegte sie, dann rief sie mit
fester Stimme: »Ich wünsche mir einen goldenen Becher, der soll so gemacht
sein, daß ich klein wie ein Eichhörnchen werde, wenn ich ihn von außen reibe;
wenn ich ihn aber von innen reibe, will ich meine natürliche Gestalt
wiederhaben.«
Noch einmal dachte Dott angestrengt
nach, denn dieses Mal durfte sie nichts verkehrt machen, weil es ihr letzter
Wunsch war. Dann nahm sie den Grashalm behutsam zwischen Zeigefinger und Daumen
der rechten Hand und blies ihn in die Luft.
Kaum aber war das Hälmchen vom Winde
fortgetragen worden, da lag ein goldenes Becherlein in ihrem Schoß. — Dott
hatte nun schon einige Erfahrungen in Verwandlungen. Darum band sie ihren
Beutel am Gürtel fest und stand auf. Dann umfaßte sie entschlossen den Becher
mit der linken Hand und rieb kräftig mit dem Tüchlein über seine Außenseite.
Und sogleich begann sie zusammenzuschrumpfen — wie ein Ballon, aus dem die Luft
entweicht. Es tat gar nicht weh! Aber es war so merkwürdig, wie die Dinge um
sie her immer größer und größer wurden und über ihren Kopf hinauswuchsen. Als
das Kleinerwerden plötzlich bei ihr aufhörte, da stand das Gras hoch wie Schilf
um sie her. Schnell verwahrte sie den kostbaren Becher in ihrem Beutel. Der
Reiher hatte schweigend ihrem Tun zugeschaut. Er war nun fünfmal so groß wie
sie selbst.
»Lieber Gurian«, sagte Dott zaghaft,
»ich bin nun so klein, daß ich nicht einmal auf deinen Rücken steigen kann.
Willst du nicht mein Reisekamerad sein, bis du des Reisens einmal müde bist?«
Eine plötzliche Traurigkeit sagte ihr,
daß dieser große, stolze Vogel eines Tages wieder eine Lebensgefährtin finden
würde, daß ein Tag kommen mußte, an dem er sie verlassen würde, wie Busso und
Uff sie verlassen hatten, und daß sie auch ihm einst nachblicken und einsam zurückbleiben
würde.
Der Reiher schaute noch immer
schweigend auf Dott nieder. Sie war nun so klein, daß er sie mit einem einzigen
Hieb hätte zerschmettern können, dieses Menschenkind, das zu jenen gehörte, die
ihm das Nest zerstört und die Seinen getötet hatten. Langsam senkte er seinen
langen geschmeidigen Hals mit dem starken, mit scharfen Zacken versehenen
Schnabel, umfaßte zart die kleine Gestalt und hob sie auf seinen Rücken.
»Ich wußte, daß du Mut hast«, sagte er.
»Aber ich hätte nicht gedacht, kleine Dott, daß du so kühn sein könntest, dich
klein und hilflos zu machen. — Wir wollen die Reise zusammen machen,
Menschenkind.«
Der Flug Gurian, des Reihers
Die kleine Dott hatte sich auf dem
Rücken des Reihers so gut es ging zurechtgesetzt. Aber als sich die großen
Flügel zu beiden Seiten hoben und senkten, um den Wind zu fangen, und der
Reiher in schwebenden Sprüngen über die Erde hüpfte und sich plötzlich vom
Boden löste, da begann sie hin und her zu gleiten, und dann fiel sie mit
ausgestreckten Armen nach vorn auf den glatten Vogelrücken.
Brausend und knatternd wie zwei Segel
arbeiteten die Flügel neben ihr. Sie biß die Zähne zusammen, stemmte beide Arme
auf den Vogelrücken und richtete sich wieder auf, die Augen fest auf des
Reihers Hals gerichtet, der in stolzem Schwünge über Gurians Rücken
zurückgebogen war.
Die Landschaft hob und senkte sich, sie
stieg ihnen entgegen und saugte sich wieder zurück, während Gurian sich in
großen Kreisen höher und höher schraubte, bis die Kleine meinte, die ganze Welt
drehe sich unter ihnen. Da schloß sie die Augen und begann wieder mit sich
selbst zu sprechen:
»Höre mir jetzt gut zu, Dorothea
Kersting! Wenn du die Verwandlung durch die Rennefarre ertragen hast und die
Johannisnacht am See und wenn du den Mut hattest, unsichtbar und allein durch
die ganze Prignitz zu wandern, dann wirst du wohl nicht gerade jetzt
hinunterstürzen, wo deine Reise erst so recht schön werden soll!«
Als sie die Augen wieder öffnete,
merkte sie, daß sie pfeilgerade über die Erde
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