Wunderbare Fahrten und Abenteuer der kleinen Dott
Laternen am gegenüberliegenden Ufer
brannten bereits, und die Lichter der Stadt schimmerten so vertraut und
heimelig über das Wasser herüber. Die kleine Dott war nun allein und überlegte,
was sie tun sollte. »Ich will die Nacht bei den Menschen verbringen«, dachte
sie. So klein wie sie war, konnte sie leicht ein behagliches Schlafplätzchen in
einem der hübschen Häuser am See finden. Sie hatte auch Glück, denn auf der
Veranda des Hauses, vor dem Gurian sie abgesetzt hatte, waren die Spielsachen
der Kinder stehengeblieben, ein Puppenbett, ein kleiner Tisch und ein Puppenstühlchen.
»Ei, das ist ja alles wie für mich
bereitgestellt!« dachte Dott und setzte sich auf den Puppenstuhl. Auf dem Tisch
waren Tellerchen und Messer und Gabeln gerade in der Größe, wie die Kleine sie
brauchte. Nachdem sie von den Vorräten gegessen hatte, die sie in ihrem
Dosentöpfchen im Beutel verwahrt hielt, überlegte sie gerade, ob sie sich nun
in das niedliche kleine Puppenbettchen legen sollte oder ob sie ein wenig in
der Stadt des Alten Fritz — wie Friedrich der Große im Alter genannt wurde —
umherwandern sollte.
Die Straßen waren fast menschenleer in
der späten Abendstunde, in der die kleine Dott über die Lange Brücke schritt,
die in großem Bogen die Havel überspannte. Am Ende der Brücke stand dicht am
Ufer ein gelbes Schloß. Das war so groß und prächtig, daß die Kleine davor
haltmachte, um es zu betrachten. Um aber nicht von einem der nächtlichen
Fußgänger angestoßen zu werden, stellte sie sich unter eine Linde, die wie auf
einer kleinen Insel mitten auf dem Fahrdamm stand.
Das aber war eine ganz ungewöhnliche
Linde. — Sie war uralt und so schief und morsch, daß sie von eisernen Stäben
gestützt werden mußte. Und rund um diesen gebrechlichen alten Baum hatten sie
ein Gitter aufgestellt, dessen Spitzen noch vergoldet waren. Da entdeckte sie
ein weißes Emailleschild, auf dem geschrieben stand: Bittschriftenlinde.
Nun wußte die kleine Dott natürlich
gleich, was für ein Baum das war! — Das mußte die alten Linde sein, vor der in
alten Tagen die Leute ihre Bittschriften in die Höhe hielten, wenn sie dem
Alten Fritz einen besonders dringenden Wunsch vortragen wollten. — Und wenn der
König von seinem Arbeitszimmer aus die Bittsteller sah, dann ließ er die
Gesuche durch seinen Kammerdiener ins Schloß bringen, um sie auf der Stelle zu
entscheiden. —
Die kleine Dott versuchte nun,
herauszubekommen, welches Fenster im Schloß wohl zum Arbeitszimmer des Königs
gehörte. — »Wenn ich doch nur in der Zeit des Alten Fritz gelebt hätte!« dachte
sie. »Ich wüßte schon, was ich dann aufgeschrieben hätte!«
»Ich weiß, was ich tue«, dachte Dott.
»Ich werde ganz leise zum Fenster hinüberrufen — wenn man überhaupt leise rufen
kann!« — Und dann flüsterte sie so laut und deutlich wie sie konnte in ihre
vorgehaltenen Hände hinein: »Ich möchte gern wissen, Herr König, ob ich eines
Tages von meiner Verzauberung befreit werde und zu den Eltern zurückkehren
darf!«
Sie sah dabei angestrengt auf das hohe
Fenster an der Ecke, aber kein Lichtschimmer war zu sehen. Still und dunkel lag
der mächtige Bau des alten, gelben Schlosses vor ihr.
Enttäuscht schritt sie durch das
riesige Säulenportal in den Lustgarten hinein. Von allen Seiten schauten
kunstvolle Gestalten aus Stein und Marmor auf sie nieder. Die Kleine aber
beachtete sie nicht, obgleich sie deutlich genug in der hellen Mondnacht zu
sehen waren. Sie ging geradeaus und ohne nach rechts und links zu blicken über
den Exerzierplatz Friedrichs des Großen.
Plötzlich aber hörte sie, wie es von
der nahen Kirche zwölf Uhr schlug. Und dann hüben die Glocken an, in die Nacht
hinein zu singen: »Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren!«
Richtig, das waren ja die Glocken der
Garnisonkirche, die die Mitternachtsstunde einläuteten! Da konnte ja jetzt
gleich der Alte Fritz aus der Gruft heraufkommen und an ihr vorüberreiten!
Darum lief sie aus dem Lustgarten
hinaus und in die Stadt hinein, um so schnell wie möglich von der
Garnisonkirche fortzukommen.
Da aber hörte sie, wie jemand durch die
menschenleeren Straßen eilig hinter ihr herkam. Doch nicht wie Pferdegetrappel
klang es, sondern klipp klipp klapp! im Dreiklang, und als sie sich umwandte,
sah sie einen alten Mann, der, den Dreispitz auf dem Kopf und auf einen
Krückstock gestützt, hinter ihr hergehumpelt kam — klipp klipp klapp! und klipp
klipp
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