Wunderbare Fahrten und Abenteuer der kleinen Dott
tragen, wie es die billigen Stoffe aushielten. Das Haus, in dem
Klaus aufwuchs, war vollgepfropft mit Familien. Alle mußten über die gleiche,
ausgetretene Holztreppe zu ihren Wohnungen steigen, alle schauten von ihren
Fenstern aus bequem in die gegenüberliegenden Fenster der Straße oder über den
Hinterhof in die Zimmer der Nachbarn hinein, und alle konnten durch die Wände
und Dielen und geöffneten Fenster und Türen den Tageslärm der Mitbewohner
vernehmen.
Der Junge kannte nur die Geräusche der
Stadt. Wenn er aus dem Fensterchen seiner Mansardenwohnung hinausblickte, dann
stand er jedoch — wie ein König über seinem Reiche — über dem ungeheuren Meer
der Dächer und schaute über Schornsteine und steinerne Mauern, über Kuppeln und
Türme hinweg bis in den blauen Dunst der Ferne.
Diese gewaltige, rauschende Stadt! Sie
lag da wie ein steinerner Wald, aus dessen Dunkel herauf es summte und sang und
orgelte und schrie.
Diese Riesenstadt zog mit magischer
Kraft die Menschen in sich hinein aus allen Gegenden des Landes, von den Alpen
bis zum Meer.
Fragt nur die Menschen in Berlin, woher
sie stammen! Da werdet ihr erfahren, daß fast alle Bewohner von draußen
hereingewandert sind, sie selbst oder ihre Eltern, aber ganz gewiß ihre
Großeltern, aus Schlesien, aus Sachsen, aus Westfalen, aus Bayern, aus Ost und
West und Süd. — Sie wollten nicht für immer hierbleiben. Sie wollten nur
teilnehmen an dem gewaltigen Werken und Wirken der Stadt. Sie wollten ein wenig
reicher und ein wenig glücklicher werden. Und dann wollten sie heimkehren zu
Wald und Feld und Erde und Sonne. Aber daraus wurde nichts mehr.
So war auch einmal der Vater Klaus
Petersens aus Friesland nach Berlin gekommen. Als er starb, hinterließ er dort
seine Familie: fünf Kinder und ihre Mutter, die nach seinem Tod in die kleine
Mansardenwohnung des alten Hauses zog. Klaus Petersen hatte die Not des Alltags
als etwas hingenommen, was zum Leben gehörte.
Eines Tages aber merkte er, daß ihn
große Unruhe erfüllte. Wenn er von seinen Ausflügen durch die Prachtstraßen der
Hauptstadt in seine Mansardenwohnung zurückkehrte, wünschte er brennend, seine
Mutter aus der Armut zu erlösen. Und diese Unruhe wuchs.
Als ein alter Geigenbauer aber in die
gegenüberliegende Dachkammer einzog, lernte er etwas kennen, das alle Wünsche
und Vorstellungen zudeckte.
Sobald Klaus zum ersten Mal die
Geigentöne hinter der Tür des Meisters vernommen hatte, schlich er sich immer wieder
auf den Flur, um dem Spiele zu lauschen. Von nun an hatte er keinen größeren
Wunsch, als einmal hinter diese Tür zu gelangen und selbst eine Geige in der
Hand zu halten.
Eines Tages entdeckte der Meister den
lauschenden Jungen. Er nahm ihn mit in seine Kammer und ließ ihn zuhören so
lange er wollte.
Mit der Zeit lernte dieser die Geige zu
stimmen und den Bogen zu führen. Aber trotz allem Bemühen, so schien es ihm,
wollte sein Geigenspiel nicht so klingen wie das seines Meisters. Und er
verdoppelte sein Bemühen.
Der Geigenbauer erzählte Klaus von
großen Konzerten, von berühmten Geigenkünstlern, die mit ihrem Spiel die Herzen
der Hörer verzauberten. Und der Junge konnte sich das gut vorstellen, denn er
hatte selbst erfahren, wie auf ihn das Geigenspiel wirkte. So wuchs die
Sehnsucht in ihm, selbst ein großer Geigenkünstler zu werden.
Der Meister hatte ihm aber das alles
nicht ohne Absicht erzählt. Hatte er doch aus den unermüdlichen Versuchen des
Jungen etwas Besonderes herausgehört.
Und als der erfahrene Künstler ganz
sicher war, daß er sich nicht irrte, nahm er eines Tages eine alte Geige aus
der Truhe und begann, sie leise und ehrfürchtig an seinem Ohr zu stimmen...
»Es ist die beste Geige, die ich
gemacht habe«, sagte er, »aber es ist ein Geheimnis in ihr, und nur der kann
sie zum Klingen bringen, der das Geheimnis entdeckt. Du sollst der Erbe dieser
Geige sein.«
Der alte Meister hatte gespürt, daß ihm
nicht mehr viel Zeit beschieden war. Nicht lange nach diesem Gespräch wurde er
krank, und bald darauf starb er in einer Klinik an Herzschwäche.
Klaus mußte nun alleine versuchen, die
Geige zum Klingen zu bringen, und er gab sich immer und immer wieder Mühe, ihr
die gleichen Töne zu entlocken wie der Meister.
»Da geigt der Fiedelklaus wieder«,
sagten die Nachbarn unwillig. Denn für sie war sein Spiel nichts anderes als
ein störender Lärm.
»Die Nachbarn werden sich beim Hauswirt
beklagen«, meinte die Mutter besorgt. »Der
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