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Wunderwaffe: Kriminalroman (German Edition)

Wunderwaffe: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Wunderwaffe: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Thiel
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gebracht, musste ein großes P auf seiner Kleidung tragen, um sich als Polen kenntlich zu machen.«
    Während der Feldwebel weiterredete, blitzten die Baracken, die Lager der IG Farben am Rhein, in Nikolas’ Geist auf. Es mussten Hunderte sein, Tausende, die verschleppt worden waren und dort lebten. Zu viele hatte er gesehen mit einem Buchstaben auf der verschlissenen Kleidung.
    »Sie mussten arbeiten bei Tag und Nacht mit zu wenig Schlaf und noch weniger Essen. Während die normalen Arbeiter gut entlohnt wurden, bekamen sie nicht einmal ein Stück Brot.« Rohn wurde nervös, fuhr mit dem Fingernagel immer wieder über das Emblem der Flasche, bis es auf der einen Seite ausgefranst war. »Dann begannen die Erschießungen. Wer nicht spurte, wurde gefoltert oder direkt öffentlich hingerichtet, als Warnung für alle. Die Flut an Arbeitern riss ja nie ab.« Er hatte die Flasche nun halb leer getrunken. »Marek erzählte von einem Gebäude, tief im Inneren des Werkes. Sie nannten es ›Das Haus der Schreie‹.
    Als er diese Worte aussprach, biss er sich auf die Lippen. »Wenn es Nacht war und der Gestank sich beißend über die Fabriken legte, dann war es wieder so weit. Selbst bis in sein Lager konnte man die Schreie der Menschen hören. Immer nur vereinzelt. Niemand kam wieder, niemand wusste, was dort geschah. Schließlich war er selbst dran. Er sagte, dass ihm die Augen verbunden wurden, bevor mehrere Menschen ihn untersucht haben. Und dann hörte er nichts mehr außer einem Zischen. Zuerst musste er nur Husten, doch als er wieder untersucht wurde, kamen die Schmerzen.«
    Rohn musste sich setzen, sein Blick ging durch die Anwesenden durch, auf der Suche nach etwas Trinkbarem.
    »Hat er etwas über die Bauchwunde erzählt? Über Erik?« Er musste sich schütteln, um diese Gedanken wieder loszuwerden.
    »Ja. Am Ende der Untersuchungen gab es irgendein Wortgefecht, und ein Mitarbeiter im weißen Kittel hat seine Wunden behandelt. Marek kann sich kaum noch daran erinnern, außer dass ein blonder Mann mit hellen blauen Augen ihm mehrere Spritzen gegeben hat. Danach ist er in Paris aufgewacht. Mit diesem Ding im Bauch.«
    »Erik, was hast du getan?«, flüsterte Nikolas, legte die Hand in seinen Nacken und ging unruhig im Raum umher.
    »Da ist noch etwas«, warf Rohn schließlich ein. »Wenn dein Erik dieser blonde Mitarbeiter war, hat er die ganze Zeit geweint.«
    Claire kam nah an ihn heran, so nah, dass er den Duft ihrer Haut einatmete. »Seht ihr, was ihr aus dieser Welt macht!«
    Es war keine Anschuldigung, nur eine kühle Feststellung. Als würde sie ihn auf etwas hinweisen, was bereits der ganze Planet wusste. Jedes ihrer Worte brannte vor Wut.
    Nikolas hielt es in diesem Raum nicht mehr aus, in der die Essenz des Sterbens allgegenwärtig war. Er stürzte auf die Balkontür zu. Die kühle Abendluft ließ ihn wieder klar denken. Mit den Händen die Brüstung umklammernd betrachtete er das Vergnügungsviertel. Erst langsam beruhigte sich sein Atem. Der Wind dämpfte den Lärm der Menschen und vermischte sich mit dem dunklen Rauschen zu einer Melodie. Nikolas schloss die Augen.
    Das richtige Handeln seiner Regierung hatte er immer als Selbstverständlichkeit betrachtet. Sie waren doch die Guten. Die Zeitungen schrieben es, die Wochenschau sagte es, der Führer sagte es. Sie bekämpften doch den Bolschewismus in dieser Welt. Sie kämpften für die gerechte Sache. Oder?
    »Die Wahrheit tut weh.«
    Er hatte gar nicht bemerkt, wie Claire hinter ihn getreten war und mit ihrem Messer spielte. Er musste etliche Minuten hier draußen, in seinen Gedanken, verbracht haben.
    »Ja, das tut sie«, entgegnete er unruhig, das Messer nicht aus den Augen lassend.
    »Ich habe mich um euer kleines Problem mit der pute gekümmert«, sagte Claire amüsiert. »Ihr könnt hier nun ein und aus gehen.«
    »Danke. Beziehungen nehme ich an?«
    Sie ging auf seine Frage nicht weiter ein. »Er war wirklich dein Freund«, stellte sie fest. Mit dem Rücken lehnte sie sich gegen das Geländer und versuchte ihre Haare im Wind zu bändigen. »Der Schmerz in deinen Augen ist echt. Davon habe ich viel gesehen, zu viel.«
    Nikolas bestätigte dies mit einem zaghaften Nicken. Seine Krawatte tanzte um ihn herum, während sein Mantel wild flatterte.
    »Das aus Ihrem Mund zu hören. Sie sind eine gute Schauspielerin.« Er zündete sich eine Zigarette an und inhalierte einen Zug.
    »In dieser Zeit«, sagte Claire und nahm sie ihm aus dem Mund, »muss man das

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